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Der letzte Korse

Monatelang hat Franz-Josef Wagner für Burda an einer neuen Hauptstadt-Illustrierten gebastelt. Nun entscheidet „Focus“-Chef Helmut Markwort, ob Berlin schon zur Zeitschrift taugt  ■ Von Oliver Gehrs

Korsika, wo die Freiheit wohnt

Korsika, wo sich Tag für Tag

neu das Leben lohnt

Mireille Matthieu

So ganz geheuer war ihm der Ausblick nie. Das, was mal der Bahnhof Friedrichstraße war, liegt als riesige Baustelle vor den Fenstern, rechts stehen verloren ein paar Frittenbuden herum und irgendwo dahinten strahlt die goldene Kuppel der Synagoge über die maroden Dächer des Scheunenviertels. Nein, die neue deutsche Hauptstadt hatte sich Franz- Josef Wagner eigentlich anders vorgestellt.

Zumindest als er Anfang des Jahres hierher kam, um an einer neuen Hauptstadtillustrierten zu basteln. Deckname Korsika, denn komische Arbeitstitel haben beim Burda-Verlag Tradition. Focus hieß Zugmieze, als noch alle über Helmut Markwort gelacht haben.

„Man muß wahrscheinlich länger hier leben, um sich an Berlin zu gewöhnen“, sagt der ehemalige Bunte-Chef Franz-Josef Wagner, greift sich eine der verstreuten Gauloise-Packungen und nippt am frisch gebrühten Espresso. Zumindest im Büro herrscht ein wenig Schwabinger Lebensart.

Wagner ist der Popstar unter den deutschen Chefredakteuren: für die einen ein notorischer Lügner, der sich für die Bunte und die Super-Zeitung krude Geschichten ausdachte, für die anderen der letzte Kreative in einem Heer mausgrauer Pressemanager, die unter Vermeidung jeglichen Risikos etliche Seiten zwischen der Werbung füllen. „Wagner ist ein begnadeter Schreiber“, sagt seine ehemalige Kollegin Beate Wedekind, „Lügen-Wagner“ nennt ihn Stern-Chef Werner Funk.

Pech für Wagner, daß es in Berlin kaum schicke Restaurants gibt, Glück für ihn, daß es in punkto Zeitschriften genauso desolat aussieht. Bis auf die beiden Stadtmagazine tip und zitty, die es sich in friedlicher Koexistenz eingerichtet haben, erscheint keine einzige Publikumszeitschrift in der Hauptstadt. Außer der Super-Illu – mit 600.000 Exemplaren die größte Kaufzeitschrift Ostdeutschlands. „Berlin ist für Medienunternehmen der strategische Schlüssel zu den Märkten im Osten Deutschlands und Europas“, ließ der Offenburger Verleger Hubert Burda seine Mitarbeiter schon im Februar wissen, und deswegen soll sich zu der trashigen Super-Illu ein weiteres Blatt gesellen. Eine zweiwöchentliche Illustrierte für fünf Mark mit vielen Fotos und langen Lesestücken. Im Focus-Format, aber trotzdem schön.

Ein halbes Jahr wurde an der Nullnummer gearbeitet – begleitet von den Spekulationen der Branche, die eine Mischung aus Bunte, New Yorker und Tempo erwartet, und Unkenrufen aus dem eigenen Haus. So soll Helmut Markwort das Projekt als „Camouflage“ bezeichnet haben – als Beschäftigungstherapie, damit sich Wagner nicht schon vor seinem Vertragsende 1998 irgendwo in die Sonne legt. Mitsamt seinen Ideen.

Denn die bescheinigen ihm selbst Kritiker, denen Wagner noch aus Bunte-Zeiten als ein Besessener gilt. Keiner, der nach 14 Stunden Arbeit nach Hause geht, nur weil ihm nichts mehr einfällt. Eher schon klingelt er seine Journalistenfreunde aus dem Bett, bis etwas Brauchbares auf den Seiten steht. Und wenn gar nichts mehr läuft, läßt er sich nachts um zwei den kompletten Goethe bringen, um ihn bei einer Flasche Wein nach sinnstiftenden Aphorismen zu durchforsten. So will es zumindest die Legende.

Doch als Helmut Markwort zu Burda kam, sah und siegte, war Wagners Zeit abgelaufen. Zumal er seinen Verleger vor dem Risiko von Focus gewarnt haben soll. Daß er nun in Berlin kaltgestellt wird, glaubt Wagner trotzdem nicht. „Soviel Geld verschwendet doch kein Verlag“, sagt er – doch soviel Geld war es ja gar nicht, wenn man bedenkt, daß er sein 1,5-Millionen- Gehalt sowieso bekommen hätte und die Berliner Burda-Büros zur Hälfte leerstehen. Allzuviel Personal brauchte Wagner auch nicht, ein kleiner Stab aus Layouter, Fotoredakteur und Textchef reichte ihm. Zusätzlich stand ihm der ehemalige Tempo-Macher Walter Mayer beratend zur Seite. Den Rest besorgten zahlreiche Freie. Z.B. Karl Lagerfeld, der für den Dummie über Nadja Auermann schrieb und gleich noch ihren schwangeren Bauch fürs Titelbild fotografierte. Bestseller-Autor Michael Jürgs steuerte ein Porträt der Verlegerwitwe Friede Springer bei, und der ehemalige Spiegel-Redakteur Christoph Scheuring räsonierte über die Auferstehung von Hertha BSC. Dazu gibt es die obligate „Russen in Berlin“-Geschichte und einen großen Berliner Schul-Test zum Herausnehmen – ein netter Gruß an Helmut Markwort.

Der hat schließlich mitzuentscheiden, ob der bunte Hauptstadtmix jemals an die Kioske kommt oder für immer in der Schublade verschwindet. In einer Auflage von 2.000 gedruckten Exemplaren wandert die Nullnummer in diesen Wochen in den Markttest. Erst danach wird sich zeigen, ob eine feste Redaktion installiert wird. Die Vorgabe für den Chefredakteur, der wohl kaum Wagner heißen wird, dürfte auf mindestens 160.000 Exemplare lauten, eher mehr.

„Die Strahlkraft Berlins wird sich beweisen müssen“, sagt Pressesprecher Philipp Welte, der Berlin trotz des überregionalen Charakters für den relevanten Markt hält: „Auch Korsikas Hauptstadt heißt Berlin“, bläst er zur Jagd auf die „Platzhirsche“ Gruner+Jahr (Berliner Zeitung, Berliner Kurier, tip) und Springer (Berliner Morgenpost, BZ).

Fragt sich nur, an welchem Tag der Angriff erfolgt. Der Montag ist von Spiegel und Focus belegt, und am Donnerstag hat bereits ein anderes Burda-Blatt, nämlich die Bunte, den Kampf gegen den Stern verloren. Weil am Sonntag schon des Vertriebs wegen nichts außer der Springer-Presse bestehen kann, bleibt eigentlich nur der Samstag. Kein schlechter Tag zum Fotos gucken und zurückgelehntem Lesen.

Genauso ungewiß wie der Erscheinungstag ist derzeit auch noch der Name der Zeitschrift: Zwar ließ der Verlag Ende März den naheliegenden Titel Die Neue Berliner und Neue Berliner schützen, doch stieß man damit bei der Konkurrenz auf harsche Kritik. Dem Ullstein-Verlag klingt das zu sehr nach seinem Supplement Berliner Illustrierte und Gruner+Jahr verweist darauf, daß seine kurz vor dem Relaunch stehende Berliner Zeitung im Sprachgebrauch schlichtweg „die Berliner“ genannt wird. Wagner selbst ficht der Streit wenig an: „Notfalls erfinde ich einen Namen.“

Dann aber in München, denn seine Berliner Mission ist erfüllt.

Eine zweite Nullnummer wird es nicht geben, denn nach dem peinlichen Tango von G+J und dem Ergo-Flop des Bauer-Verlags, für den etliche Redakteure jahrelang völlig umsonst Magazin- Dummies produzierten, sind selbst die großen Verlage vorsichtig geworden.

So wird Wagner in diesen Tagen ein letztes Mal nach einem langen Tag zwischen Zeitungsstapeln und Espressomaschine die paar Schritte von seinem Büro zum Hotel zurücklegen. Ein Exot in Segeljacke und italienischen Slippern inmitten dieser komischen Berliner, die wahrscheinlich noch nicht einmal wissen, wer er ist.

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