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Tattoos und Wunden im Partnerlook

■ Anselm Weber inszeniert lieblos Rainer Werner Fassbinders „Katzelmacher“im Malersaal

Selbstbetrug und Euphemismus schützen Rosy vor der Verachtung. Sie treibt es mit Franz, solange er dafür zahlt. Auch Elisabeth, die Peter aushält, kennt den Preis ihres Liebsten. Und Gunda, die mit den mageren Gesten einer alten Jungfer hantiert, exorziert sich das letzte bißchen Selbstachtung, in dem sie sich als Beute für Diebe und Herzensbrecher bereithält.

Unterdrückte Panik und Opfermentalität ist in Rainer Werner Fassbinders Katzelmacher so eng mit hysterischer Fröhlichkeit verknüpft, daß die Bühne zum Treibhaus verdrängter Gefühle heranwuchert, in der all die Versagungen des kleinbürgerlichen Alltags als verkrüppelte Seelen-Gewächse ihre Wege zur Sonne suchen. In der Inszenierung von Anselm Kiefer im Malersaal des Schauspielhauses liegen sie in Bikini und Badehosen, die Tattoos im Partnerlook, auf der Mauer, die den Bühnen-Guckkasten halbiert. Sie grabschen, knutschen oder lassen Bierverschlüsse ploppen, als könnten sie damit eine Art Ausrufungszeichen in die Provinz ihres Erlebens setzen.

Vier Paare von unterschiedlicher Beständigkeit, ein System, wenn auch labilen Gleichgewichts, das in Unordnung gerät, als der Gastarbeiter Jorgos eintrifft. Ein Zirkel aus Sexualneid, Angst, Erregung und Verletzbarkeit beginnt. Und fortan klingt alles, was Helgas Freund Paul sagt, wie ein Befehl und alles, was Helga ausspricht ,wie eine unbestimmte Sehnsucht.

Immerfort liefert das Bühnenpersonal unter Webers seltsam uninspirierter Regie allerlei zähe Sätze ab. Jede Geste, jeder Blick zurück wird dagegen zur Kostbarkeit, bis zur gegenseitigen Entwertung. Und am Ende, wo sich Szene mit Szene zäsurlos vermischt, ist nichts mehr wirklich wichtig, läßt sich nichts mehr als der Aufschrei, der Konflikt, die Zumutungen veredeln. Die Figuren bleiben kalt und lieblos gezeichnet. Die Ausbeutbarkeit der Gefühle, das Scheitern der Kleinen an der eigenen Beschränktheit, für die das Fremde unvorstellbar und furchterregend bleibt – Weber übersieht die Wut des Stückes, seinen unversöhnlichen Realismus, der hinter all der Kühle und der Künstlichkeit steckt.

Katzelmacher, das Stück, das Fassbinder 1968 zunächst als 20minütigen Gruppenamoklauf selbst auf die Bühne brachte, haftet bis heute, nicht zuletzt durch sein kurioses Kunst-Bayerisch, etwas Fremdes an, das es vor schädlichen Vereinnahmungen schützt und in seiner Brisanz bewahrt hat. Was geschieht, wenn man diese Fremdheit gewaltsam anzueignen versucht, davon handelt es selbst. Und von der systematischen Zerstörung dessen, was man lieben könnte, die zur Normalität erklärte Qual anderer, von dem gnadenlosen Blick auf einen Mikrokosmos, in dem ein Schulterschlag unter knüppelnden Freunden schon das ganze Seelensagrotan bedeutet. Das läßt sich nicht zäh verbreien, das muß man aushalten.

Birgit Glombitza

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