: Belcanto-Wettstreit im Mottenpulver
■ Rossinis „Reise nach Reims“ im Jungen Forum / Schöne Musik in staubiger Regie
Für ein Werk von besonderer Lebenskomik hält Claudio Abbado, engagierter Anwalt der Reise nach Reims, diese lang verschollene Rossini-Oper. Vielmehr noch ist sie wohl ein frühes Beispiel absurden Theaters, denn in zweieinhalb Stunden passiert hier auf der Bühne so gut wie gar nichts. Zumindest nichts von dem, was man sonst aus Opern gewohnt ist. Weder wird jemand wahnsinnig, noch erleiden junge Paare den gemeinsamen Liebestod. Statt dessen wird dem Zuschauer ein französisches Badehotel präsentiert, in dem sich eine internationale Aristokratengesell-schaft die Zeit vertreibt. Dort kommt man auf die Idee, nach Reims zu reisen, wo gerade der neue König gekrönt wird, stellt fest, daß keine Kutsche mehr fährt und tröstet sich mit einem kleinen Huldigungsfest an den Monarchen.
Die Inszenierung des Stückes, die Michael Schlüter-Padberg an der Hochschule für Musik und Theater verbrochen hat, schafft es jedoch nicht einmal, diesen simplen Handlungsstrang zu verdeutlichen, geschweige denn, den vor witzigen Anspielungen strotzenden Text szenisch umzusetzen. Kostüme, Gestik, Personenregie, alles erschöpft sich in den verstaubtesten Konventionen überalterten Musiktheaters und rettet sich nur hin und wieder in müden Klamauk.
Daß diese Produktion trotzdem eine Empfehlung verdient, liegt an der musikalischen Umsetzung. Denn was Rossini hier an heimtückischen Sprüngen und Läufen in die Partien hineinkomponiert hat, wird von den sechzehn Gesangssolisten mehr als nur akzeptabel dargeboten. Sicher, nicht alles gelingt gleichmäßig gut, doch das Wetteifern aller um die rasantesten und elegantesten Koloraturen hält die Spannung fortwährend aufrecht. Entsprechend begeistert werden die großen Ensemblenummern vorgetragen, bei denen sich niemand hinter den anderen zu verstecken sucht, die dafür aber von sorgfältiger Einstudierung und genauem Aufeinanderhören geprägt sind. Eigentlicher Star des Abends ist aber Dirigent Helmut Franz, der mit den Hamburger Symphonikern all die Laune und den Übermut versprüht, den man auf der Bühne vermißt. Jörg Königsdorf
Weitere Aufführungen am 18., 23., 24. und 27.6. um 19.30 Uhr in der Musikhochschule, Milchstraße
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