Das Haushaltsloch wird tiefer, der Finanzminister kreativer. Doch Neubewertung der Goldreserven, Verkäufe und weitere Einsparungen können Steuererhöhungen höchstens aufschieben. Die Koalition hält aus Angst vor einer Regierungskrise still

Das Haushaltsloch wird tiefer, der Finanzminister kreativer. Doch Neubewertung der Goldreserven, Verkäufe und weitere Einsparungen können Steuererhöhungen höchstens aufschieben. Die Koalition hält aus Angst vor einer Regierungskrise still

Gestatten: Waigel, der Trickbetrüger

Es handle sich um eine „ungewöhnlich schwierige Situation“, sagte der Kanzler bedeutungsvoll. Die Opposition wolle „Waigel niedermachen“, ergänzte Kohl auf der Fraktionssitzung der CDU/ CSU Donnerstag nacht. Jetzt müsse man sich einmütig um den Finanzminister scharen. So ging es auf der vertraulichen Sitzung „ernst, aber nicht hektisch“ zu, wie Teilnehmer später versichern. Finanzminister Theo Waigel (CSU) bekam Rückendeckung von der Union und auch von der FDP.

Ein Loch von knapp 30 Milliarden Mark klafft in seinem Haushalt – 9,1 aus Steuerausfällen, plus bis zu 20 Milliarden aus den höheren Ausgaben für Arbeitslose. Er will es stopfen durch den Verkauf von Telekomaktien und einen Bilanzzauber bei der Bundesbank – die Goldreserven der Bundesbank sollen höher bewertet werden, den daraus resultierenden Gewinn will Waigel einstreichen. Dazu kommen bisher nicht definierte Einsparungen, vielleicht eine Haushaltssperre – und auch Steuererhöhungen will die Koalition nicht mehr ausschließen.

Zwar leierte FDP-Chef Wolfgang Gerhardt gestern weiter „Steuererhöhungen lehnen die Liberalen kategorisch ab“. Doch der FDP-Fraktionsvorsitzende Otto Solms wiegelt ab: „Das ist aber keine Koalitionsfrage.“

Selbst Solms glaubt offenbar nicht mehr daran, daß Steuererhöhungen vermeidbar sind. Unionsfraktionsvorsitzender Schäuble wurde im ARD-Frühstücksfernsehen deutlicher: „Ich glaube nicht, daß wir 1997 noch die Chance haben, das Problem durch steuerliche Maßnahmen zu verändern. Für 1998 müssen wir aufgrund der neuen Zahlen gründlich beraten.“ Dann werden nämlich die Steuerausfälle beim Bund mit 14,6 Milliarden Mark anderthalbmal so hoch sein, dazu kommen die höheren Zahlungen für die Arbeitslosen, die dieses Jahr schon knapp 20 Milliarden ausmachen. Viele aus der CDU/CSU-Fraktion hätten lieber schon jetzt die Mineralsteuer erhöht, bestätigt Schäubles Vize Hans-Peter Repnik im Berliner Inforadio.

Doch für 1997 bleibt wohl nur Sparen, Verkaufen und Tricksen. „Wir haben es heute zu tun mit dem Offenbarungseid einer unseriösen Politik“, klagte der SPD- Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping. Und die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier sprach von „Bilanzkosmetik“.

Vor allem der Goldtrick mit der Bundesbank brachte die Kritiker in Rage. Er funktioniert so: Die Bundesbank bilanziert derzeit ihre 2.980 Tonnen Goldreserven zum niedrigen Anschaffungswert von 13,7 Milliarden Mark – so ist es in der deutschen Buchhaltung üblich. Inzwischen ist der Goldkurs gestiegen – das gesamte Edelmetall hat nun einen Marktwert von rund 57 Milliarden Mark. Würde die Bundesbank ihr Gold entsprechend höher bewerten, könnte sie 40 Milliarden mehr Gewinn ausweisen. Um das Geld an den Bund zu überweisen, müßte die Bank das Gold nicht verkaufen, sie könnte einfach die Notenpresse anwerfen. Das gedruckte Geld ist durch den Goldwert gedeckt.

Der Frankfurter Währungsexperte Wilhelm Hankel schimpfte: „Das wäre Bilanzfälschung. Jedes Privatunternehmen, das mit manipulierten Gewinnen agiert, verspielt seinen Kredit.“ Der Ex- Chefberater des früheren Finanzministers Karl Schiller (SPD) warf Waigel offenen Verfassungsbruch vor. Die Währungsreserve sei nicht zum Stopfen von Etatlöchern da, sondern solle garantieren, daß das Volk in Notsituationen mit lebensnotwendigen Importen versorgt werden könne. „Der Inflation wären Tür und Tor geöffnet.“ Gregor Gysi (PDS) schloß sich an. Der Plan bedeute „nichts anderes, als mehr Geld zu drucken. Als die DDR zu diesem Mittel griff, war sie schon am Ende.“

Der Haushaltsexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Dieter Vesper, ist moderater: „Angesichts der schwierigen Situation brauchen wir eine Politik, die die Nachfrage erhöht.“ Der Bilanztrick und das Drucken von Geld ersetzen zwar keine gezielte Geldpolitik, wie sie Vesper fordert, haben aber die selbe Wirkung wie Zinssenkungen: „Die Nachfrage steigt, und das bringt mehr Wachstum.“ An eine höhere Inflation glaubt er nicht.

Während der ebenfalls umstrittene geplante außerbörsliche Verkauf eines Teils der Telekomaktien zwar den Haushalt entlastet, würde er von der EU nicht akzeptiert für das Haushaltsdefizitkriterium vom Bruttoinlandsprodukt von drei Prozent zum Euro-Beitritt. Der Golddeal dagegen würde auch für das Maastricht-Kriterium von der EU anerkannt. Zwar darf er höchstens sieben Milliarden Mark an Bundesbankgewinnen direkt im Haushalt verwenden, doch er kann die übrigen Milliarden zur Tilgung der Wiedervereinigungsschulden verwenden. Damit erspart er sich eine noch größere Neuverschuldung. Außerdem klingt es noch elegant: Einstimmig verkünden die Koalitionspolitiker, daß man für eine historisch einmalige Leistung wie die Wiedervereinigung schon mal an die Bundesbankreserven ran dürfe.

Ein schlauer Trick, denn Waigel wurde in letzter Zeit nicht müde, ständig vor EU-Gremien von der Sonderlast der Deutschen durch die Wiedervereinigung zu sprechen. Auf dem jüngsten EU-Gipfel in Dublin stimmten ihm darin sein irischer Amtskollege sowie der Vorsitzende des EU-Währungsausschusses, Nigel Wiecks, zu. Gut für Waigel, denn „die Punktlandung bei drei Prozent, die er stets vollmundig verkündet hat, findet nicht statt“, sagt Dieter Vesper. Nach DIW-Schätzungen wird Waigel bei 3,3–3,4 Prozent Neuverschuldung landen. Matthias Urbach