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Eine „New PS“ ist nicht in Sicht

Mit einem wie Blair wollen sich Frankreichs Sozialisten nicht schmücken. In Stil und Programm liegen Welten zwischen New Labour und der PS  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Der Erfolg hat viele Cousins. Kaum hatte die Labour Party in Großbritannien ihren historischen Sieg errungen, begann auf dem Kontinent das massenhafte Outing ihrer „Freunde“. Jeder wollte dazugehören. In manchen Ländern – darunter Deutschland und Frankreich, wo Wahlen bevorstehen – rangelten Vertreter aller großen Parteien, quer über politische Grenzen hinweg, um das Anrecht auf das Label „Tony Blair“.

Die Konfusion dauerte mehrere Tage. Dann sprach die Londoner Regierung das Machtwort über ihre Favoriten. In Paris ging der neue Außenminister Robin Cook vor seinem Antrittsbesuch bei Kollege Hervé de Charette in der Zentrale der Sozialisten vorbei und ließ sich mit Parteichef Lionel Jospin fotografieren. Das Zeichen war klar.

Es brachte die selbsterklärten Blair-Interpreten der Konservativen – darunter unseren Kommentator Alain Madelin sowie den unpopulären Premierminister Alain Juppé, der die Gelegenheit genutzt hatte, um die „archaische französische PS“ zu geißeln – zum Verstummen. Aber auch die französischen Sozialisten verdrängten Großbritannien, kaum hatten sie die Anerkennung errungen. Tony Blair ist kein Politiker, mit dem sich französische Sozialisten (seit vier Jahren in der Opposition, 19 Prozent im Parlament, 103.000 Mitglieder) schmücken können. Schon gar nicht mitten in einer Kampagne, in der sie sich als Alternative zum gängigen Liberalismus – auf angelsächsische Art – anbieten. In einem Wahlkampf, in dem ihr Chef Jospin zwar nicht sagt, „eine linke“, aber immerhin „eine andere Politik ist möglich“.

Bei der zentralen Wahlkampfveranstaltung Jospins vor 3.000 jungen Franzosen am vergangenen Donnerstag in Paris ist keine Rede mehr von Großbritannien. Vor ein paar Wochen noch hat der Parteichef und unangefochtene Spitzenkandidat der französischen Linken öffentlich auf einen Wahlsieg der Labour Party als „Unterstützung für ein soziales Europa“ gehofft. Jetzt spricht er von der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, von einer staatlichen Beschäftigungsinitiative, die 700.000 Jugendlichen Arbeit verschaffen soll, von mehr Geld für die Kultur und von mehr Moral in der Politik. Unter langanhaltendem Beifall kritisiert er den in Peking weilenden Staatspräsidenten Chirac, der in der UNO nichts über die Menschenrechtsverletzungen in China gesagt hat. Und er verlangt das Selbstbestimmungsrecht der Völker – auch in Zaire, wo „Frankreichs Afrika-Politik versagt hat“.

In diesem überstürzten Wahlkampf, den Staatspräsident Chirac der Opposition aufgezwungen hat, klingen bei den Sozialisten Töne durch wie vor dem französischen Godesberg. Damals, im Jahr 1983, als die Regierungspartei PS plötzlich eine radikale Kehrtwende vollzog und sich schlagartig zur Marktwirtschaft bekannte.

Jospin, der täglich mindestens zwei „Meetings“ abhält, hat keinen disziplinierten Apparat hinter sich. Er ist zwar seit knapp zwei Jahren Parteichef, aber sein eigentlicher Bonus ist sein unerwartet gutes Abschneiden beim Präsidentschaftswahlkampf 1995. Jenes einzige Erfolgserlebnis seit dem Ende der Ära Mitterrand hat möglicherweise verhindert, daß die Flügelkämpfe die Partei zerrissen. Das Wahlprogramm, das die französischen Sozialisten jetzt in sechs Millionen Exemplaren verteilen, ist ein erneuter Balanceakt: Bei der beabsichtigten Abschaffung der Immigrationsgesetze haben sich die Linken durchgesetzt. Bei der Europapolitik ist die Handschrift der „Ja-aber-Sozialisten“ zu erkennen, die zwar den Euro wollen, aber nur mit sozialer Abfederung.

Auch im Stil liegen Welten zwischen dem Briten mit dem Dauerlächeln, der Bulldogge in den Werbespots sowie der generalstabsmäßig organisierten Tour und dem französischen Sozialisten, der grundsätzlich allein auftritt, streng wie ein Prüfer blickt und nur ganz selten einmal eine ausgreifende Handbewegung oder ein Augenzwinkern wagt. Wenn Jospin auf den „Meetings“ spricht, zeigt sein Gesicht, daß er arbeitet. Seine Basis arbeitet auch. „Wir werden siegen“, skandieren sie in Paris. „Vielleicht“, ergänzt jedesmal irgendwer. Eine „New PS“ ist das nicht. Eher eine Formation, die sich – zumindest in Wahlkampfzeiten – am äußeren linken Rand der Sozialistischen Internationale positioniert. Schwer zu erkennen, was die Sozialisten, Sozialdemokraten und Labour-Politiker, die heute in zwölf der 15 Länder der Europäischen Union regieren und nur bei den beiden Schwergewichten Deutschland und Frankreich sowie in Spanien in der Opposition sind, verbindet. Schwer zu sagen, wo das gemeinsame Programm dieser Parteien ist, die im Europaparlament seit 1979 ununterbrochen die Mehrheit stellen. Und kaum nachvollziehbar, warum sie nicht in der Lage waren, den Wirtschaftsliberalismus und die sozialen Defizite in Europa zu verhindern.

Es gibt Sympathien über den Kanal hinweg zu der „anderen Kultur“. Audrey, 23jährige Wahlhelferin der französischen Sozialisten, hält Blair für „eher links“. Ihr 24jähriger Genosse Olivier nennt ihn einen „Linken – für britische Verhältnisse“. Und die 22jährige Nadege qualifiziert ihn, ebenfalls am Rande des „Meetings“ von Jospin, als „besser als Major“.

Viele tragen ein Werbe-T-Shirt der PS mit der grünen Aufschrift auf weißem Grund: „Die Zukunft ändern.“ Ein junger Mann hat einen roten Aufkleber darübergeheftet. Darauf steht: „L. E. F. T“. Die ersten drei Buchstaben stehen für das Motto der 208 Jahre zurückliegenden französischen Revolution: „Liberté, Egalité, Fraternité“, der vierte ist neu hinzugekommen: „Tolérance“. Mit Tony Blair hat der Aufkleber nichts zu tun, versichert der 25jährige Kriegsdienstverweigerer Christoph, „er paßt nur gerade gut.“

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