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Tollschock voll Schorf und Sperma

■ Feridun Zaimoglu liest in „Kanak Sprak“aus seinem Buch „Abschaum“in der Poets Lounge

Mit Berichten von den Rändern der Gesellschaft ist es so eine Sache. Denn dort wird eine andere Sprache gesprochen als im Literaturbetrieb und zwischen zwei Buchdeckeln. Daher erdachte etwa Anthony Burgess für seine juvenilen Rabauken in Clockwork Orange eigens eine neue Sprache, in der von „tollschocken“oder von „Devotschkas“die Rede ist.

Feridun Zaimoglu, der heute in der Poets Lounge des Mojo Clubs aus seiner Kurzgeschichtensammlung Abschaum vorträgt, hat sich für einen anderen Weg entschieden. Penibel hält er sich an die Worte von Ertan Ongun, der – wie das Nachwort glauben machen will – Zaimoglu die 36 Schoten, aus denen Abschaum kompiliert ist, brühwarm erzählt hatte. Obendrauf gab er seinem Chronisten noch die passenden Worte auf den Weg: „Ich geb dir reinen Stoff. Du bist mein Dealer. Geh und Verkauf das Zeug!“

Der Stoff, den Ertan Ongun darreicht, ist hochkonzentriert. Die drei Dutzend kurzen Stories, die z.B. „Wir-teilen-uns-die-Schlampe-Story“heißen, sind voller Schorf und Sperma, Muskeln und Männerbünden, voller Dreck, Skrupellosigkeit, Drogen und Haß. Eben mitten aus dem Abschaum der BRD-Gesellschaft heraus. Denn Ertan ist kein „Abiturtürke“und kein „Streberkanake“, sondern ein hartgesottener „Hardcore-Türke“. Auf den Straßen Kiels, so gibt er großmäulig an, hat er sein Handwerk gelernt.

Was sein Handwerk ist, wird schon aus den Titeln der einzelnen Stories klar, die „Puff-Aufmisch-Story“, „Spielhallen-Überfall-Story“, „Knast-Mißhandlungs-Story“oder „Story vom ersten Schuß“heißen. Gleichgültig durchpflügt Ertan dabei das Strafgesetzbuch, verlegt mit gespielter Coolness die Leiche seines Freundes oder verhaut einen Trupp Hell's Angels oder „Bullenhuren“. Dabei ist er aber keinesfalls lebensmüde, sondern gierig auf das Leben. Seinem irre gewordenen Freund hält er etwa in der Psychiatrie eine lebensfrohe Standpauke.

Auch wenn Zaimoglu zu diesen Geschichten allein durch die Bezeichnung „Story“Abstand hält, bleibt doch der Eindruck einer aufdringlich distanzlosen „oral history“zurück. Die Straße soll – und das ist das Paradox dieses natürlich gedruckten Buches – zum Sprechen gebracht werden. Anders als in seinem wunderbar monströsen Monolog „Ich scheiß auf eure Subkultur, ihr Schmöcke“gelingt es Feridun Zaimoglu in Abschaum nicht, seine „Kanak Sprak“, jene krause Mischung aus türkischen Fetzen und internationalem Jugendslang, als souveräne Sprachvariante auszuspielen. Dafür hat ihn sein Kollege Marcel Beyer in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit mit reichlich Spott für den Literaturkanon der gymnasialen Oberstufe vorgeschlagen. Volker Marquardt

Lesung: heute, 18. 30 Uhr, Groove City, Dammtorstraße 21 und Mojo Club, Reeperbahn 1, 21 Uhr

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