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Stumme Schreie im Kirchenschiff

■ Die Ausstellung „Versöhnung“: Mietje Bontjes van Beek setzt sich mit Shoah und Nazi-Terror auseinander

Jemand hat die Uhr angehalten. Gleich hinter Altar und Taufbecken der Kirche Unser Lieben Frauen in der Bremer Innenstadt ist die Zeit dort stehen geblieben, wo dick und fett „Versöhnung“auf dem Zifferblatt steht. Zum Auftakt des Erinnerungsmarathons rund um die „Wehrmachtsausstellung“zeigen die Landeszentrale für politische Bildung und eine Firma mit dem schönen Namen „Event Marketing“Bilder. Es sind Werke in Öl und Mischtechnik von Mietje Bontjes van Beek. Sie wissen schon. Sie wissen nichts?

Die 1922 in Bremen geborene Mietje ist die Tochter von Olga Bontjes van Beek, deren malerisches Werk im Spätsommer 1996 in einer Retrospektive in den Kunstsammlungen Böttcherstraße vorgestellt wurde. Doch das ist auch nach der Werkschau weniger bemerkenswert als die Familiengeschichte, aus der das Schicksal von Mietjes Schwester hervorragt. Denn Cato Bontjes van Beek wurde als Mitglied der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“in Berlin-Plötzensee ermordet als Mietje gerade 20 Jahre jung war. Dies ist der Hauptgrund dafür, daß sich die Beschäftigung mit dem Nazi-Terror und der Shoah durch ihr künstlerisches Schaffen der letzten zwei Jahrzehnte zieht.

Wenn Mietje Bontjes van Beek ausstellt, dann sind Kirchen oder kirchliche Einrichtungen die Schauplätze und korrespondieren die Eröffnungstermine meist mit Gedenktagen. So geschehen am 20. Juli 1994 im Magdeburger Dom oder am 6. August 1995 in der Kathedrale von Coventry. Wo die gesprochene gute Absicht in Form von Gedenktagsreden eine Stimme bekommt, da hat auch die gemalte ihren Platz.

Die in Bremen gezeigten rund 30 Bilder sind in den Jahren zwischen 1978 und 1995 entstanden. Doch eben das ist ihnen nicht anzusehen. Das künstlerische Ringen um Formen der Erinnerung an die Shoah, wie es in den Arbeiten eines Jochen Gerz oder eines Boltanski spürbar wird, sucht man hier vergeblich. Von aktuellen Kunstentwicklungen hält sich die Malerin fern und erreicht dadurch ganz nebenbei, daß ihre Bilder auch von denen verstanden werden, die sich schon vor der Eröffnung am späten gestrigen Nachmittag zufällig in die Ausstellung verirrten.

Obwohl die Motive durchaus variieren, ist die Vergangenheit der Lager, der Transporte und der Topographie des Terrors das zentrale Thema. Düster-skizzenhafte Opferbilder, dazu Landschaften und Architekturensembles wechseln einander ab. Diese Hängung sorgt dafür, daß scheinbar Unpassendes zum Thema paßt.

Denn Gesichter in ovaler Form, schemenhaft mit großen Augen und Munch'schen Mündern bevölkern einen großen Teil der Bilder. In der Gesellschaft dieser stummen Schreie verliert freilich die „Große Lokomotive“ihre Harmlosigkeit und wird das düstere „Baum hinter Stacheldraht“mit der Zusatzangabe „Holland 1941“von außen mit Bedeutung beladen.

Die Symbolik der Opferbilder rührt von den Lagerskizzen her, mit denen KZ-Insassen den Schrecken zeichnerisch zu erfassen versucht haben. Hier indes sind sie Zitate, und es sind nicht die einzigen. Bald stand Franz Radziwill Pate („Die große Wolke“), bald grüßt Max Ernst ganz freundlich („Die Spur“) und bald lebt die Neue Sachlichkeit wieder auf („Berliner S-Bahn“).

Doch wo es stilistisch am eigenen Weg fehlt, wird durchaus Beklemmung hervorgerufen. Und für Beklemmung oder eher Andacht ist eine Kirche nunmal ein geeigneter Ort. Denn dort wird schon mal die Zeit angehalten.

Christoph Köster

Die Ausstellung „Versöhnung“mit Bildern von Mietje Bontjes van Beek ist bis zum 3. Juli in der Kirche Unser Lieben Frauen zu sehen; Öffnungszeiten: mo - fr 10 - 12.30 Uhr und 14 - 16.30 Uhr, sa 10 - 12.30 Uhr, so 11 - 13 Uhr

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