Der boxende Jockey

Der zierliche Brite Stephen Williams reitet nicht nur schnelle Pferde, sondern will auch Boxweltmeister werden  ■ Von Frank Ketterer

Mit fünf Fuß, sieben Inches hat Stephen Williams das Gardemaß für einen Jockey eigentlich überschritten. 170 Zentimeter Körpergröße sind fast schon zuviel, um noch pfeilschnell über Grasbahnen galoppieren zu können. Normalerweise. Doch darum hat sich Stephen Williams ziemlich wenig geschert, und so ist er also Jockey geworden, drüben, in good old England. Ein immerhin so guter, daß er im Laufe seiner Karriere rund 300 Rennen gewinnen konnte und deshalb von Galopptrainer Fredy Gang als Stalljockey verpflichtet wurde für dessen Stall im badischen Iffezheim.

Für einen Faustkämpfer in der Fliegengewichtsklasse sind fünf Fuß, sieben Inches eine feine Sache. Nicht gerade das Gardemaß für einen, der höchstens 54 Kilogramm auf die Waage bringen darf, aber beim Boxen gegen die körperlich meist unterlegene Gegnerschaft eben doch ein nicht zu unterschätzendes Plus. Stephen Williams jedenfalls weiß seine Vorteile in Größe und Reichweite zu schätzen – und meist auch in Siege umzumünzen. In seinen zehn Kämpfen als Boxprofi jedenfalls verließ Williams den Ring nur einmal als Unterlegener, und das auch nur, weil er sich in seinem letzten Kampf zu Beginn dieses Monats die Hand verletzte und aufgeben mußte in Runde sechs, obwohl er gegen den Briten Mark Reynolds nach Punkten haushoch geführt hatte und ganz bestimmt gewonnen hätte. So aber gab Williams auf, weil ihm das Risiko zu hoch schien. Schließlich braucht er seine Hände beim Reiten, so wie ab diesem Samstag beim Iffezheimer Frühjahrsmeeting, wo er für den Gang-Stall mehrfach um Sieg und Geld reiten wird.

Wie überhaupt das Boxen und das Reiten nicht so richtig zusammenpassen wollen. Weil es auf den ersten Blick einfach befremdend wirkt, daß einer freundlich mit Tieren umgeht und dann auf Menschen mit seinen Fäusten eindrischt. Stephen Williams wischt solche Bedenken mit seinem sonnigen Lächeln beiseite und sagt einfach einen Satz wie: „Ich liebe Tiere, vor allem Pferde – und ich liebe es, mich mit Männern zu schlagen.“

Was in England, Williams' Heimat, gar keine Seltenheit ist. In einer eigenen Jockey-League ermitteln Reiter und Stallburschen, wer von ihnen am besten mit den Fäusten umgehen kann. Neun Jahre lang war Williams, der auf der Insel als „der boxende Jockey“ einigermaßen bekannt ist und als Junge viermal im Halbfinale um die britischen Box-Schülermeisterschaften stand, der unangefochten beste von ihnen. Auf rund 60 Kämpfe brachte er es auf diese Weise als Amateur, vor zwei Jahren bekam er seinen ersten Vertrag als Profiboxer. Sein neuer Promoter hat ihm kürzlich gar einen „richtig großen Fight“ versprochen, im besten Fall sogar um einen WM-Titel, auch wenn nur nach Art der World Boxing Union (WBU), einem äußerst unbedeutenden Verband also.

„Ich denke, ich hätte gute Chancen“, sagt der 28jährige, was keineswegs als vorlautes Ballyhoo gemeint ist. Dafür ist Williams ein zu zurückhaltender Mensch, auch im Ring, wo er mehr Stilist ist denn wilder Haudrauf, eine Art britischer Gentleman-Boxer eben, der mit seinem tadellosen Aussehen getrost in jeder Shampoo- oder Weichkäsewerbung mitspielen könnte. Vielleicht schlägt da ja doch der Tierfreund durch.