piwik no script img

Voscherau nach Den Haag!

■ betr.: „Die Sau rauslassen“, taz vom 7.5. 97

Die hochgeschätzte Vera Gaserow ist mit ihrem in der Tendenz so klaren und unbestechlichen Kommentar mit Henning Voscherau viel zu sanft und zurückhaltend umgegangen. Der Mann ist ja, ich möchte das zu seinen Gunsten annehmen, weder dumm noch uninformiert. Wenn er straffällige Ausländer, die es gibt und geben muß (so wie Deutsche auch im Ausland ständig straffällig werden), zum Wahlkampfthema macht, dann weiß er natürlich, daß er den Sack schlägt, aber den Esel meint, daß solche Straffälligen weder quantitativ noch finanziell ein auch nur halbwegs ernsthaftes soziales Problem darstellen. Aber er will sich, da hat Gaserow natürlich mehr als recht, den Stammtischen empfehlen. Er tut aber mehr als das. Er tut methodisch und politisch-taktisch dasselbe, wofür zum Beispiel die Miloševićs und Karadžićs auf die Den Haager Anklagebank gehören wegen Volksverhetzung (sie selbst haben ja vermutlich niemanden persönlich umgebracht).

Die Methode ist politisch-logisch so banal wie zynisch. Milošević & Co. entdeckten die jeweiligen nationalen Karten in Jugoslawien, als ihnen der Machtverlust drohte – oder als sie Chancen des Machterwerbs mittels nationalistischer Agitation sahen. Herr Voscherau hat vermutlich persönlich absolut nichts gegen Ausländer. Er wird auch bei den einschlägigen Gelegenheiten das Übliche gesagt haben gegen Rassenhaß und „Wehret den Anfängen“ und daß „es“, die Verfolgung von Juden und Sinti und Roma, nie wieder passieren dürfe. Wir wissen, was von den Reden dieser Leute – Gaserow hat sie genannt – zu halten ist. Der Schritt ist nur noch klein – nein, eigentlich hat ihn dieser Hamburger Bürgermeister, eine Schande für diese Stadt, bereits getan –, wo es offiziell heißen wird: „Die Ausländer sind unser Unglück.“

In der mentalen Substanz des Machtopportunismus mittels Appells an primitive Instinkte unterscheidet sich Herr Voscherau darum nicht von den genannten ideologischen Kriegsverbrechern. (und deren deutschen Vorfahren, von denen einer dann bekanntlich feststellte: „Wer Jude/Ausländer ist, bestimme ich.“). Ekkehart Krippendorff

Eine ausländerInnenpolitische „Kaltfront“ sieht Vera Gaserow seitens der SPD aufziehen. Überrascht? Wer hat als erster Bundespolitiker die Abschaffung des Asylrechts gefordert? Richtig, Oskar Lafontaine, der „Linke“. Und weil wir uns damit so gut auskennen, hat der Europaminister von NRW, Dammeyer, Kinkel aufgefordert, die europäische Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nach Bonn zu holen. Denn von einer ausländerInnenpolitischen „Kaltfront“ kann hierzulande keine Rede sein. Im Gegenteil, in jahrelangen Experimenten haben wir herausgefunden, auf welcher Temperatur ein Schmelztiegel gefahren werden muß. Und das ist noch nicht das Ende, denn Herr Voscherau, Ursache des Übelseins von Vera Gaserow, hat versprochen: „Das sozialdemokratische Jahrhundert steht erst noch bevor.“ Das ist zu befürchten. Richard Kelber, Dortmund

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen