Aus dem Bahnschatten

In Württemberg läßt man sich vom Monopolisten Bahn AG nicht mehr alles gefallen  ■ Aus Heilbronn Michael Schwager

Neue Doppelstockzüge im Stundentakt zwischen Stuttgart und Heilbronn – mit dem Fahrplanwechsel am 1. Juni versucht das württembergische Unterland ein weiteres Mal, aus dem berüchtigten Bahnschatten zu treten. Der erste Versuch Ende September vergangenen Jahres scheiterte bereits. Der mit großem Pomp gefeierte neue Neigetechnikzug zwischen Heilbronn und Mannheim entwickelte sich zum medienwirksamen Flop. Weil die genervten Heilbronner der Deutschen Bahn AG (DB) ordentlich Druck machten, gab es als Ausgleich die neuen Doppelstockwagen. Langsam erkennt auch der Bahnmonopolist, daß Länder und Kommunen zu den wichtigsten Kunden zählen. Denn nicht mit dem ICE macht die DB das Hauptgeschäft, sondern nach wie vor im Regionalverkehr.

Eigentlich sollte der Zug der Reihe VT 611 seit einem halben Jahr auf den kurvenreichen Strecken Heilbronn–Mannheim und Saarbrücken–Frankfurt die Fahrzeiten verkürzen und neuen Komfort in den Regionalverkehr bringen. Das taten die Dieseltriebwagen mit Neigetechnik auch, rund eine Woche lang. Dann ging es wegen zahlreicher Pannen zurück zum Hersteller Adtranz in Hennigsdorf bei Berlin. Der zweite Anlauf kurz vor Weihnachten endete ebenfalls in einem Fiasko: Am zweiten Einsatztag brach auf der Fahrt nach Heilbronn eine Gelenkwelle. Aus dem beschädigten Treibstofftank versickerten 800 Liter Diesel im Bahndamm.

Der „Zug der Zeit“ (DB-Werbung) wurde seitdem in Heilbronn nicht mehr gesichtet. Von der DB gab es nur spärliche Erklärungen, was die Kommunalpolitiker gewaltig ärgerte. Immerhin hatten Landkreis und Kommunen die 17,3 Millionen Mark teuren Neigezüge zusammen mit dem Land Baden- Württemberg finanziert. Seit Jahren hofft die einzige Großstadt Deutschlands ohne Fernverkehrsanschluß nämlich, mit dem Pendolino wenigstens einen schnellen Anschluß zum IC-Knoten Mannheim zu bekommen. Die DB hatte stets behauptet, dies sei nur mit Neigezügen möglich. So entschied sich die Region nach zähem Ringen für die Pendolino-Beschaffung. Allerdings ließ die DB nicht den im Raum Nürnberg erfolgreichen Dieselzug weiterbauen, sondern den moderneren VT 611.

Zwischen Mannheim und Heilbronn fuhren derweil normale Lokzüge, und diese waren nur fünf Minuten langsamer als der sogenannte Kurvenflitzer. Die Heilbronner fühlten sich von der DB vollends verschaukelt. Waren die 8,65 Millionen für fünf Minuten Fahrzeitgewinn eigentlich sinnvoll angelegt? Hätte der Kauf moderner Doppelstockwagen nicht mehr gebracht? Auch das übrige DB- Angebot rückte nun ins Blickfeld: polternde Altmodelle mit durchgesessenen Plastiksitzen, dazwischen alte Reichsbahnwagen und muffige Abteilwagen, an denen noch nicht einmal die Türen automatisch schließen. Bahnschrott statt Nei-Tech.

Verschiedene Landtagsabgeordnete nahmen das Thema auf, an den Bahnhöfen zwischen Heilbronn und Stuttgart wurden Unterschriften für einen besseren Bahnservice gesammelt. Noch bevor die Unterschriftenlisten an Landesverkehrsminister Hermann Schaufler weitergereicht werden konnten, verkündete dieser ab Juni den Einsatz neuer Doppelstockzüge zwischen Stuttgart und Heilbronn. Da das Land die 31 neuen Doppelstockwagen mit rund 30 Millionen Mark zur Hälfte bezuschußt, wird die DB ihr Angebot auf der bislang stark vernachlässigten Strecke Stuttgart–Heilbronn ausweiten. Nur bei einem solchen Entgegenkommen der DB war der Verkehrsminister bereit, die Fahrzeug-Beschaffung mitzufinanzieren.

In Baden-Württemberg hat der Bahnmonopolist bereits einige Strecken an private Unternehmen verloren. Mit den Doppelstöckern sichert sich die DB langfristig den Betrieb der lukrativen Pendlerstrecke. Den Heilbronnern kann es jedenfalls egal sein. Sie bekommen ihre neuen Züge und werden endlich ein wenig aus dem Bahnschatten treten.