: Atommüll bis nach Feuerland
Argentinien sucht dringend Käufer für seine AKW, deren Preis inflationär sinkt. Der Atomschrott soll derweil in Patagonien endlagern ■ Aus Montevideo Martin Jens
In Argentinien regelt der Fußball selbst die Arbeitszeit der Parlamentarier. Die Sitzung des argentinischen Nationalkongresses zur Privatisierung der Kernkraftwerke fing zu einer ungewöhnlichen Zeit an, bereits um zwanzig vor eins saßen alle Abgeordneten startklar auf ihren Stühlen. Um zehn nach fünf war dann schon alles unter Dach und Fach: Die drei argentinischen Kernkraftwerke, von denen zwei (Atucha I und II) die deutsche Siemens Kraftwerks Union (KWU) gebaut hat, können verkauft werden.
Grund der Eile für die Abgeordneten war der Beginn des Länderspiels Argentinien gegen Bolivien am späten Nachmittag, den keiner von ihnen verpassen wollte. Nach dem Skandalergebnis wären viele wohl doch lieber im Kongreß geblieben.
Die Summe, die die argentinische Regierung mit dem Verkauf der Atomkraftwerke Atucha I und II, die in der Nähe der Hauptstadt Buenos Aires gebaut wurden, und des Reaktors von Embalse bei Cordoba einstreichen will, ist in den vergangenen Jahren immer kleiner geworden. Als der Privatisierungsvorschlag 1995 das erste Mal auf den Tisch kam, wurde großspurig verkündet, daß mit den drei Reaktoren zwischen 800 und 1.000 Millionen Dollar zu machen seien.
In der Debatte haben die Abgeordneten kleinere Brötchen gebacken. Jetzt sollen die drei Kraftwerke im Paket für 250 Millionen Dollar den Besitzer wechseln. Ein Käufer ist nämlich nicht in Sicht. Und auch wenn Präsident Carlos Menem ab Montag in Deutschland auf Staatsbesuch ist, wird er kaum auf Interessenten für die AKW treffen.
Ob es bei den 250 Millionen Dollar bleiben wird, ist ebenfalls unklar. Denn Atucha II befindet sich noch im Bau und der argentinischen Regierung fehlt das Geld, um das Projekt fertigzustellen. Kraftwerkbauer Siemens KWU zieht sich daher langsam von der Baustelle zurück und will in den nächsten Jahren Argentinien verlassen.
Nach Zahlen der argentinischen Regierung müßte ein Käufer 650 Millionen Dollar in Atucha II stecken, um das Kraftwerk flott zu machen. Und wer Atucha I und Embalse kauft, muß – laut Gesetz aus der Fußballrunde – Atucha II fertigbauen. Im Hause Siemens KWU selbst zeigt man sich nicht allzu überzeugt von der deutschen Wertarbeit im Kraftwerkbau: Der Konzern hat noch kein Interesse gezeigt, sein eigenes Projekt zu kaufen. Die Atomkraftwerke sind zusammen mit der Post und den Flughäfen die letzten Privatisierungsprojekte auf der Liste der argentinischen Regierung. Danach ist die sogenannte erste Staatsreform von Präsident Carlos Menem abgeschlossen. Mit dieser Reform hat Menem den rücksichtslosen Ausverkauf staatlicher Firmen durchgezogen. Es gibt kaum noch etwas, das der Staat besitzt. Mit dem Privatisierungsprogramm will Menem dem hohen Haushaltsdefizit beikommen. Knapp 15 Prozent seines Stroms bezieht Argentinien nach Auskunft der Nationalen Atomenergiebehörde (CNEA) aus den zum Verkauf stehenden Reaktoren.
Bei der Abstimmung über das Privatisierungsgesetz der Atomkraftwerke zeigte die Regierungspartei Risse. Nicht alle aus den Reihen der peronistischen Justizialistischen Partei (PJ) stimmten zu. Die Radikalen und das Mitte- Links-Bündnis Frepaso votierten dagegen, da ihrer Ansicht nach „die Kontrolle der Atompolitik nicht in private Hände fallen darf“. Außerdem würde die zu erwartende Summe, die mit dem Verkauf der Kraftwerke eingenommen werden würde, nicht die Risiken des Atomprogramms wettmachen. Weder der Atomblock Atucha I noch Embalse gelten als besonders sicher.
Mit dem Privatisierungsgesetz ist auch der Weg frei geworden für ein nukleares Abfall-Lager. Schon seit längerem liebäugelt die Regierung Menem mit dem Bau einer solchen Atommüllhalde in Patagonien, nahe der Naturschutz-Halbinsel Valdéz. Allerdings haben die patagonischen Provinzen schon lange ein Gesetz beschlossen, das es verbietet, auf ihrem Territorium Atommüll zu lagern.
Dies wurde von der Zentralregierung in Buenos Aires stets ignoriert. Im Juli vergangenen Jahres zogen über 40 patagonische Bürgermeister nach Buenos Aires, um gegen die Regierungspläne für ein Atommüll- Lager in Patagonien zu demonstrieren.
Neu sind die Pläne für ein Atommüllendlager in Patagonien nicht. Bereits in den 80er Jahren guckte sich die Nationale Atomenergiebehörde die dünnbesiedelte Gegend im äußersten Süden Argentiniens als ideale Lagerstätte für Atomschrott aus.
In Patagonien leben gerade einmal drei Prozent der argentinischen Bevölkerung. Schon im Juli 1996 sagte Juan Carlos Villalonga, Koordinator der Greenpeace- Energie-Kampagne in Südamerika: „Ohne Zweifel haben sie das Privatisierungsgesetz dazu gedacht, in Patagonien eine nukleare Lagerstätte zu errichten.“
Das geplante Atomschrottlager soll Stoffe mit mittlerer und hoher Aktivität beherbergen. Material mit hoher Aktivität braucht mehrere tausend Jahre, bis es ausgestrahlt hat. „Wenn einer dieser Stoffe an die Umwelt gelangt, kann das eine vergleichbare Katastrophe wie der in Tschernobyl zur Folge haben“, warnt Villalonga. Für solcherlei Stoffe gebe es auf der Welt keine sicheren Lagerstätten. Die patagonischen Bürgermeister fürchten außerdem, daß eine Atommülldeponie die Tierarten auf der Halbinsel Valdéz gefährden könnte. Die Halbinsel ist für ihren Schatz an Wildtieren bekannt. Seelöwen, See-Elefanten und unzählige seltene Vogelarten haben im dortigen Nationalpark Schutz gefunden. Von Juli bis Anfang Dezember treffen sich vor der Küste Wale zur Paarung. Außerdem sei das Gelände um Gestre seismologisch alles andere als geeignet für die Ablagerung von radioaktiven Stoffen.
Die drei argentinischen Atomreaktoren im dichter besiedelten Norden spucken, nach Auskunft er CNEA, pro Jahr etwa 150 bis 200 Tonnen Atommüll mit hoher Aktivität und zirka 50 Kubikmeter mit mittlerer Aktivität aus. Da es keine Endlager gibt, bleibt der Müll in den Reaktoren, die ihn produzieren, liegen.
Die PatagonierInnen fürchten aber nicht nur die atomaren Endlager. Auch anderer Dreck wird gern in der Südspitze Lateinamerikas abgekippt. Daher kündigen die Bügermeister der 40 Gemeinden auch Widerstand gegen alle anderen Projekte an, die „Patagonien in eine Müllhalde für gefährliche Abfälle aller Art verwandeln“.
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