: „Da wird nur noch blind gestempelt“
■ Ausländerbehörde: Mit Scheinlösung gegen Menschenschlange und Schlagzeilen
Aus der Wolldecke guckt fast nur noch die Nasenspitze heraus. Dabei kann Erkan noch froh sein. In der Nacht zum Montag regnet es nicht, keine frische Brise pfeift durch die Amsinckstraße, nur die Temperaturen sinken in den frühen Morgenstunden auf fünf Grad. Froh auch deshalb, weil Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) versprochen hat, kein Ausländer würde unverrichteter Dinge weggeschickt.
Tatsächlich sind die Schlangen vor der Tür der Chaos-Behörde gestern kürzer gewesen, und vor allem wurden die Wartenden zügig ins Gebäude gelassen. Mangels Menschenauflaufs fiel deshalb die Straßenblockade „Eine Schlange gegen die Schlange“aus. Statt dessen marschierten die DemonstrantInnen zur Innenbehörde. Sie wollten vom Herrn des Chaos erfahren, wo der Warte-Stau geblieben ist.
Zuerst habe Wrocklage sich in „phantasielosem Abstreiten von Tatsachen“ergangen, berichtet Anne Harms von der kirchlichen Beratungsstelle Fluchtpunkt. Dann habe er „unverblümt“zugegeben, daß „einfach nur noch blind gestempelt wird“. Nur durch „unbürokratische Verlängerung“der diversen Papiere, habe Wrocklage erklärt, konnte man den Rückstand aufarbeiten. Soll heißen: Ohne Akteneinsicht.
„Das ist richtig“, bestätigt Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. „Verschlankte Bearbeitung“nennt er das wundersame Verschwinden der Warteschlangen. Richtige Termine gebe es allerdings auch jetzt nicht. Doch wer keine Wartenummer ergattert, bekommt eine für Mittwoch, dem zusätzlichen Öffnungstag.
„Hochnotpeinlich“nennt Anne Harms diese Pseudo-Lösungen. Ohne strukturelle Änderungen aber werde nach Abklingen der Schlagzeilen auch keine Veränderung eintreten. Die Dezentralisierung des Amtes lehnt die Innenbehörde aus Kostengründen weiterhin ab. Annahmestellen in den Bezirken – Dezentralisierung light – „begünstigen nur eine kleine Gruppe“, schneide sie aber zugleich von den Sachbearbeitern ab, so Harms.
„Behördenschlendrian und mangelnde Effizienz“nennt Gertrud Erdmann, Hamburger Geschäftsführerin des Bunds der Steuerzahler das „Trauerspiel“in der Amsinckstraße. Das sei nicht nur „sehr bedenklich“, sondern auch eine Ungleichbehandlung von Steuerzahlern. Silke Mertins
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