: „Ich kann mit den Augen hören“
■ Echter 68er mit Bindung zum Musiktheater: Der wohlgerühmte Schauspieler Udo Samel inszeniert Gaetano Donizettis opera buffa „Don Pasquale“im Theater am Goetheplatz
perninszenierungen müssen attraktiv sein. Zumindest ziehen sie immer mehr „berufsfremde“Menschen an. Nach den ungezählten SchauspielregisseurInnen, die im Theater am Goetheplatz schon Opern einstudiert haben, hat es jetzt den hochberühmten Schauspieler Udo Samel ans Musiktheaterregiepult in Bremen verschlagen. Udo Samels Darstellung des Franz Schubert im dreiteiligen Fernsehfilm ist ebenso unvergeßlich wie sein jahrelanges Wirken an der Berliner Schaubühne. Neulich noch als Detektiv im „Kondom des Grauens“auf der Kinoleinwand, vor Tagen als Killer im „Tatort“, trafen wir den Vielseitigen zwischen den Proben zu Gaetano Donizettis populärster Oper „Don Pasquale“.
taz: Es ist mittlerweile üblich, daß Schauspielregisseure irgendwann den Weg zur Oper finden, wobei ja auffällt, daß es umgkehrt selten ist. Sie allerdings sind ein berühmter Schauspieler. Welche Verbindungen haben Sie zu Musik und Musiktheater?
Udo Samel: Ich wollte immer Musiker werden, Komponist oder Dirigent. Aber einmal fehlte mir das Durchhaltvermögen für das stundenlange Üben und zum zweiten wollte ich als echter 68er – ich war damals 16 – die Welt verändern. Dazu haben wir Theater gespielt – schreckliche Agitpropstücke. Aber auch das kam mir als Lüge vor – und ich studierte Slavistik und Philosophie. Dann hörte ich einen Vortrag von Günter Rühle, der mich zum Theater zurückgebracht hat. Ich bin dann mit 25 an die Schaubühne gekommen und habe meine wesentlichen Prägungen durch Peter Stein und Klaus Michael Grüber erfahren. Ich sage ganz klar, daß ich als Musiker gescheitert bin.
Sie machen nach Wozzeck in Weimar nun Ihre zweite Inszenierung einer Oper. Was reizt Sie an dieser paradoxen Kunstform?
Der Zusammenhang zwischen Körper und Musik – so wie bei meinem größten Vorbild in dieser Beziehung, Maria Callas. Schauspieler können so leicht außer Kontrolle geraten. Aber bei den Sängern ist das anders: Da kann es gelingen, daß das, was sie bewegt, die Musik ist. Genau das reizt mich.
Die Gattung opera buffa ist eine Gattung des 18. Jahrhunderts. Die erst 1843 entstandene Oper „Don Pasquale“ist zusammen mit Verdis „Falstaff“das Relikt einer Epoche, in dem die buffa Tummelplatz der Rationalität war. Handelt es sich hier um so eine Art heiterer Abschied, und hat eine solche Sicht Ihre Interpretation beeinflußt?
Genau das ist der Punkt bei diesem Werk. 1843 geschrieben, nennt Donizetti es „buffa“wegen der alten bürgerlichen Schicht, die mit der Figur des Pasquale abtritt. Das Stück hat am Anfang zwei Theatermasken, das Lachen und die Träne. Ich hatte mir auch überlegt, ob Pasquale vielleicht Donizetti ist...
Das Werk ist fünf Jahre vor seinem Tod entstanden. Spielt dabei die tödliche Syphiliskrankheit von Donizetti eine Rolle?
Ja. In kurzer Zeit sind ihm die geliebte Frau und drei Kinder gestorben. Er hat sich mit Arbeit zugedeckt, saß die beiden letzten Jahre im Rollstuhl. Von der Liebe hat er Abschied genommen: Werdet glücklich, jetzt und im Himmel, sagt er im Stück. Damit tötet er das Liebespaar eigentlich. Das ist großartig.
Man kann auch sagen, daß die Handlung anspruchslos, dürftig, unwahrscheinlich ist. Mit Sicherheit aber zeigen Sie eine realistische Lebenskomplexität. Wie?
Der Stoff ist genial aktuell. Es geht um Geld, es geht um Abhängigkeit, alle betrügen sich gegenseitig. Es geht um einen Generationenkonflikt. Es gibt da ein Duett zwischen Onkel und Neffen, das in der Musik zeigt, daß sie vollkommen aneinander vorbeireden. Norina: Sie will Karriere machen, ich weiß nicht, ob sie Ernesto liebt, sie will bestimmen...
Würde sich denn das widersprechen?
Nein. Jedenfalls beschreibt sie am Ende die Welt...
Das Stück spielt 1750, ist 1843 komponiert und wir sind 1997. Wo siedeln Sie es an?
Es müssen keine Jeans sein. Historische Genauigkeit weckt in mir die Lust, sich etwas Fremdes zu eigen zu machen. Ich lasse es in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielen. Verständnis entsteht über Empfindung und ein Ereignis auf der Bühne, nicht über Effekte. Mit diesen Schwingungen, wie ich es nenne, kann ich dann auch die Zuschauer erreichen.
In dem Stück geht es auch um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Spielt irgendeine Art von feministischer Entwicklung in Ihrer Sicht eine Rolle?
Ja. Norina ist die überlegene Schlußfigur. Sie bleibt übrig, sie räumt ab.
Wie nähern Sie sich einer Partitur?
Ich lese wochenlang die Partitur, also die Musik. Ich kann mit den Augen hören, um dann mit den Ohren zu sehen. Nur ein Beispiel: Pasquale hat lauter Zitate aus dem Barock, Norina singt so etwas wie Art Deco. Sie ist die Figur der Zukunft, das sagt die Musik.
Was kann Theater, Oper verändern?
Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich sehr vorsichtig geworden bin. Ich behaupte nichts mehr, ich will und kann die Welt nicht ändern. Aber ich kann aufmerksam machen, ich kann die Schwächen der Menschen verteidigen, ich kann die Zuschauer in das Geschehen hineinziehen: Man muß ihnen das Geschenk machen, dazwischen zu kommen. Wenn ich spüre, daß ich Zyniker werde, höre ich mit meiner künstlerischen Arbeit sofort auf.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Premiere von „Don Pasquale“am Sonnabend, 31. Mai, um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz
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