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Ahnungslose Forschungsreisende kauft Obdachlosenzeitung Von Susanne Fischer

Soeben von meiner Forschungsreise nach New York zurückgekehrt, bin ich ohne weiteres in der Lage, über das amerikanische Jobwunder zu berichten. Ich könnte auch davon erzählen, wie es einem im Flugzeug erst immer so flau im Magen wird, aber ich glaube kaum, daß diesem Umstand volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt, sieht man einmal von den Kotztütenfabriken ab. In Amerika gibt es allerdings einen ganzen Staat, ich habe vergessen, welchen, in dem Kotztütenfabrikation der tragende Wirtschaftszweig ist, weshalb der Staat auch scherzhaft Kotztüten- Staat genannt wird (natürlich auf englisch).

Das amerikanische Jobwunder besteht darin, daß, wenn man arglos ein Kino verläßt, am Ausgang ein uniformiertes Jobwunder steht. Es sagt: „Vielen Dank, daß Sie gerade dieses Kino besucht haben“ (natürlich auf englisch). Darin besteht die ganze Arbeit des Jobwunders. Nach einer kurzen, spitzen Freude darüber, daß ich gerade dieses Kino besucht habe, kommen mir schnell tiefe Zweifel. Und was ist mit den anderen Kinos, die auch einen Besuch wert wären, aber von mir schnöde vernachlässigt wurden? Auch dort warten Leute am Ausgang, die nun meinetwegen weniger zu tun haben, ja, vielleicht sogar niemanden verabschieden dürfen, falls sie für ein Kino arbeiten, das ausschließlich tschechische Kunstfilme zeigt. Dann werden sie entlassen, und ich bin schuld.

Schon finde ich mich pflichtbewußt auf dem Weg in das Kino, das ausschließlich tschechische Kunstfilme zeigt. Unterwegs begegnet mir in der U-Bahn ein Jobwunder, das die Obdachlosenzeitung von vergangenem Monat an ahnungslose Forschungsreisende verkauft. Ein anderes hält mir im Coffee- Shop die Tür auf, ein drittes bietet beim ersten Regentropfen brüllend Schirme feil, und ein viertes schließlich macht vor einem Spielzeugladen zu Reklamezwecken Seifenblasen, obwohl es längst Automaten gibt, die diese Arbeit ebenfalls erledigen könnten. Wenn sich aber ein Geschäft einen richtigen Menschen dafür leisten kann, ist es natürlich fein raus. Der Flughafen kann sogar einen echten Beagle vorweisen, der den Job als Schnüffler für unberechtigt eingeführte landwirtschaftliche Produkte ergattert hat. Stolz trägt er seine Hundeuniform.

Im Kino für tschechische Kunstfilme erfahre ich von der hilfsbereiten Kassiererin, daß ihr Haus zu einem Jobwunder für tschechische Kunstfilmemacher geführt habe, denn seit man wisse, daß es in New York ein Spezialkino gebe, sei der Markt für tschechische Kunstfilme explodiert. Mir kam das Ganze wie ein Schwindel vor, denn das Filmtheater machte einen sehr heruntergekommenen Eindruck, aber die Kassiererin sagte, sie könne sehr gut von den Trinkgeldern europäischer Journalisten leben, und vielen Dank auch. Vorher habe sie in einem Kino für grönländische Musikfilme gearbeitet.

Ich müsse aber nicht hineingehen, sagt sie noch, allein der Kartenkauf beweise meine Persönlichkeitsstärke. Aber ich will wissen, wer in New York den Finger am Puls der ästhetischen Avantgarde hat und hält. Außer mir hockt jedoch niemand im vollklimatisierten Dunkel. Am Ausgang verkauft mir ein obdachloses Jobwunder eine kaum gebrauchte Kotztüte im Design der vergangenen Saison. Natürlich auf englisch.

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