: Schöneweide - Schweineöde
■ Wendeworte: Volker Brauns neuer Roman „Vier Werkzeugmacher“
Volker Brauns bekanntester Text, die Unvollendete Geschichte (1975), handelt von einer unmöglichen Liebesbeziehung. Bei Gesprächen mit einer jungen Frau hatte der Schriftsteller deren Berichte als Folie benutzt. Nach 1989 entpuppte sich die Frau als Stasi-IM. Der betrogene Braun sprach angesichts des vollendeten Verrats von der „Ausweglosigkeit seines Schreibens“.
Unterdessen hat sich die deutsch/deutsche Geschichte vollendet, und Volker Braun dazu eine Geschichte geschrieben. Seine Vier Werkzeugmacher (1996) sind ein Sprachkunststück über die Bewußtseins- und Erfahrungsbrüche nach 1989. Den Handwerkern in seiner Parabel, zu DDR-Zeiten in Ruhe gelassen, ging es eigentlich gut: „Sie machten sich nicht tot, sie zogen es vor zu leben.“Nach der Wende wird alles anders. Die Vier verlieren ihre Arbeit: „Das Verrückte war: Sie hatten, in ihrer Werkstatt, gelebt von dem Zustand; jetzt wurden sie angesehen, als wären sie zuständig gewesen!“
Mit Machtverhältnissen ändert sich auch die Wahrnehmung der Werkzeugmacher. Wohnhaft in Schöneweide, nennen sie den heruntergewirtschafteten Vorort jetzt Schweineöde. Die Umwertung aller Werte vollzieht sich rasch. Die Werktätigen, die einst geachteten Werkzeugmacher, sind zu unwichtigen Wichten geworden. Derlei Doppelsinn der Worte setzt Volker Braun ein, um von den absichtslosen Machenschaften der Geschichte zu erzählen.
„Das war eine komische und grausame Geschichte“, denn die vier Werkzeugmacher entbehren die alte Wirklichkeit und sie spüren zugleich, daß sie diese nicht zurückwünschen können. Nichts ist mehr, wie es war, und das wird den vormaligen DDR-Bewohnern schwer. „Man hat mein Leben vertauscht“, sagt der verstörte Brigadier Matthes. Er und seine Kollegen müssen sich schließlich damit abfinden, abgefunden zu werden. Der Mann vom Arbeitsamt gibt ihnen einen Rat: „Hört auf, auf euren Vorstellungen herumzureiten, und der Welt eine Vorstellung zu geben, über die sie nur lachen kann.“Die vermeintlichen Sieger der Geschichte verlieren ihre Vergangenheit und gewinnen eine beschädigte Gegenwart. „Er würde nie wieder er selber sein,“spürt Matthes. „Wirklich wußte er, daß ihnen recht geschah. Aber mit welchem Recht?“
Ironisch, philosophisch und verzweifelt zugleich, nutzt Volker Braun die Sinn- und Spielräume der Sprache, um die epochale Veränderung von 1989 in ihren Wirkungen auf die Menschen zu erfassen. Die Geschichte aber geht weiter. Frauke Hamann
Volker Braun liest heute aus seinem neuen Buch „Vier Werkzeugmacher“, Literaturhaus, Schwanenwik 38, 20 Uhr
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