Klangmanna gegen sonntägliches Altglasklirren

■ betr.: „Was sonntags nervt: Glockenläuten“, taz vom 27.5.97

Ach, wie gerne wollte ich wohnen, wo die Monotheisten mit Glockengebimmel und dem Allah- u-akbar des Muezzins um die „Filetstücke im deutschen Lärmteppich“ rangeln. Welch willkommene Abwechslung wär's von den Lärmanschlägen meiner Mitmenschen, die ihren Rasenmäher ausführen, heim- und handwerken und, bevor sie den Wagen starten, noch eben am Altglascontainer klirren – natürlich alles am Sonntagmorgen.

Falls ich sonntags gegen neun schon wach bin, öffne ich die Fenster kirchturmwärts, in der Hoffnung, etwas vom Klangmanna der baumelnden Bronzebecher einzufangen. Und schwebt dann tatsächlich etwas scheppernd heran, strecke ich mich weiterlauschend wieder aus: Heut' bin ich faul, mach' keinen Finger krumm.

Zu Recht fragt Seidel-Pielen in diesem Zusammenhang, was Religionen der Welt gebracht haben. Ja, viel Verdruß, jahrtausendelang Grund zum Klagen – keine Frage. Freilich ist da noch die Kleinigkeit der Siebentagewoche (die wir den dienstältesten Monotheisten verdanken) mit ihrem Sabbat-Ruhetag, selbst für Ochs und Esel. Wer die religiös neutrale Zehntagewoche ohne Feiertagsausgleich vorzieht, wettere weiter gegen Willkür und Glockenschall. Bevor mir aber der heilige Sonn- und Ausschlaftag von Standortfanatikern („In Indien wird rund um die Woche produziert“) und Heimwerkern genommen wird, übernehme ich bei nächster sich bietender Gelegenheit die Patenschaft für eine Kirchenglocke – und biete dem ersten Muezzin von Pankow unser Flachdach als Minarettersatz an. Jörg Moritz-Reinbach, Berlin

[...] Eberhard Seidel-Pielen schreibt zusammenfassend: „Aber solange Kirchenglocken frei sich schwingen, kann die Devise nur lauten: Mir sind die Phonstärken des Muezzins zwar unsympathisch, aber wenn es denn unbedingt sein muß, soll er schreien.“

In Überlegungen dieser Art gehört, wie aktuell in arabischen Ländern mit den meist kleinen christlichen Minderheiten umgegangen wird: Bibelgesellschaften dürfen nicht gegründet werden, Gottesdiensträume dürfen von außen nicht als solche kenntlich sein. Muslime, die hier Muezzinrufe fordern, sollte man öffentlich mit dieser Praxis ihrer Herkunftsländer konfrontieren, auch wenn die dortige Intoleranz uns nicht als Maßstab dienen kann.

Ein Atheismus, der am liebsten die Kirchenglocken in jahrhundertealten Kirchtürmen verbieten würde („solange Kirchenglocken frei sich schwingen“), ist noch nicht zu einer abgeklärten toleranten Stufe gelangt, die Seidel-Pielen ja von Monotheisten fordert. Zudem findet die Auseinandersetzung über die Besetzung des öffentlichen Raumes, in dem sich das Selbstverständnis unserer Gesellschaft offenbart, heute im wesentlichen an anderer Stelle statt: in der Allgegenwart der Werbung, in der Hirnlosigkeit des Fernsehens, in der unkontrollierten Übermacht von medialen Multiplikatoren.

Es geht bei der Auseinandersetzung über die Muezzinrufe nach meiner Erfahrung auch nicht um die Dominanzgelüste der Monotheisten: Kirchliche Funktionäre und Kerngemeinden sind in der überwiegenden Zahl sehr tolerant. Neben Evangelikalen sind es gar nicht so sehr betont gläubige (eher randständige) christliche Gemeindemitglieder, die sich durch das Öffentlichwerden der hier inzwischen stabilen islamischen Minderheit bedroht fühlen. Und es geht um Gefühle, die sehr unklar nach Ausdruck suchen. Die Pfarrerinnen und Pfarrer der evangelischen Kirche helfen hier nach meiner Einschätzung oft, mit diesen Bedrohungsgefühlen umzugehen. Von den atheistischen unter den taz-RedakteurInnen erwarte ich etwas mehr Abgeklärtheit (mehr als die Einstellung „Gut ist, was meinem Feind schadet“) und den Versuch zu verstehen, was an Motivlagen hinter bestimmten Einstellungen steckt. Albrecht Burkholz, Messel