Im Schweinekarussell

■ Vom Sozialrevolutionär zum Künstler der oberen Zehntausend: In Paris wird das Werk des niederländischen Jahrhundertwende-Malers Kees van Dongen gezeigt

Kees van Dongen gilt als Porträtist der Pariser Schickeria in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Doch das ihm von der Kunstkritik zurechtgeschnittene Passepartout als Fauvist und Zeichner ist für den niederländisch-französischen Maler viel zu eng.

„Van Dongen retrouvé“, „Der wiederentdeckte van Dongen“, lautet zu Recht der Titel der Ausstellung im Pariser Institut Néerlandais. Wiederentdeckt hat die Kuratorin der Ausstellung, Anita Hopmans, das vergessene Frühwerk Kees van Dongens: seine Zeichnungen, Aquarelle, Skizzen.

„Ich male, was ich sehe“, hat er kurz angebunden sein „Programm“ benannt. Er sieht – und zeichnet – die eingefallenen Gesichtszüge der „Glasbläser“ („Glasblazers Capelle“, 1898); er sieht die abgemagerten Hände des Straßenmusikanten (1901); er sieht den schweren Schritt des Lumpensammlers („Le Chiffonnier“, um 1900). Seine Füße heben sich kaum noch vom Pflaster. Die Beine hat van Dongen mit satten, durchgehenden bleistiftschwarzen Strichen gezeichnet. Diese Art Stilisierung verwendet er immer dann, sobald er Menschen der Arbeiterschicht skizziert. Die sich beim Gehen, Schneeräumen, selbst beim Tanzen nicht mehr beugenden Knie sind augenfälliges Detail der Kraftlosigkeit und Erschöpfung.

Als Achtzehnjähriger verläßt van Dongen 1896 Delfshaven und bezieht eine Bude in Rotterdam. Mehrere Jahre hat er vorher die Kunstakademie besucht. Doch dem akademischen Kunstideal verschreibt er sich nie. Mit Schriftsteller- und Künstlerfreunden gründet er zusammen den Zirkel „Vrije Kunst“. Erklärtes Ziel ist es, „die Kunst einzubinden in die soziale Realität“.

Nicht für Banditen und Spekulanten malen

Van Dongen liest Schriften der Neohegelianer. Von dort führt sein Weg zum Anarchismus. Für die niederländische Ausgabe von Kropotkins „De Anarchie – Philosophie en Ideaal“ (La Haye, 1897) zeichnet er das Titelblatt. Seine ersten Illustrationen fertigt van Dongen für engagierte Schriftsteller an.

„Ich habe immer mit der Überzeugung gearbeitet, daß es besser ist, für die Allgemeinheit zu arbeiten, nicht für eine Handvoll Banditen und Spekulanten. (...) Das ist der Grund, weshalb ich für Zeitschriften zeichne und die Malerei hintangestellt habe (...)“. Malerei dient in den Augen des jungen van Dongen doch nur dem Luxus einiger wohlbetuchter Kunstsammler.

Mit dem Journalisten Rie Brusse, der für den Nieuwe Rotterdamsche Courant schreibt, durchstreift er die Zandstraat, das Hurenviertel der Hafenstadt. Brusses Artikelserie führt dazu, daß die Stadtverwaltung eine Sozialstation für Prostituierte einrichtet. Brusse, als Seemann verkleidet eine Art Wallraff der Jahrhundertwende, deckt die Wucherpreise der Zimmerwirte auf, die dubiosen Praktiken zum Anheuern der Seemänner, die miserablen Lebensbedingungen der Huren. Der ihn begleitende van Dongen hat keine Verkleidung nötig. Die Frauen kennen ihn auf der Zandstraat: Seine Schnellskizzen würdigen die Prostituierten nie zu bloßen Objekten der Begierde herab.

Interesse am Gegen- und Miteinander

Das Ritual von Angebot (der Ware Frau) und Nachfrage (durch die Seemänner auf Landgang) überhöht van Dongen nicht ins Erotische (wie Picasso es bei vergleichbaren Themen unterläuft). Was van Dongen interessiert, ist die soziale Situation, das Gegen-, das Miteinander: Die vier Frauen in ihren Schürzen an der Straßenecke reden untereinander, sind ins Gespräch vertieft. Der Seemann mit dem blaugrünen Halstuch wird umringt von sich anpreisenden Frauen. Der alte Mann im „Café de Nightlamp“ sitzt verunsichert auf der Kante seines Stuhles.

Die Zeichnungen und Aquarelle der Zandstraat sind einer der Höhepunkte der Ausstellung, die dem Lebensweg van Dongens von Rotterdam nach Paris folgt. Hier schlägt er sich mit dem Verkauf von Illustrationen an satirische und linkspopuläre Zeitschriften durch. Er zeichnet „Die Pferde von Paris“ (1900). In einem seiner Briefe vergleicht er die sich ins Zaumzeug legenden Kaltblüter mit menschlichen Arbeitstieren: „Denk mal“, schreibt er einem Freund, „an den verschwenderischen Luxus, der mit Peitschenhieben zusammengerafft wird.“

Doch Stadtgespräch wird van Dongen in Paris nicht mit seiner kritischen, sondern mit seiner amüsanten Kunst. Das „Schweinekarussell“ (1904) verschafft ihm den Durchbruch. Auf Holzschweinen reiten gut gekleidete Damen im Kreis. Auf der dem Karussell gegenüberliegenden Caféterrasse wirft van Dongen – umgeben von zerrissenen Entwürfen – die erste Skizze aufs Papier: ein Rausch aus elektrischer Beleuchtung (eine Novität) und Bewegung. Das Motiv wird zu seinem Markenzeichen. Es folgen Aquarelle, ein Ölgemälde zum selben Thema (1905). Der „neue Meister“ steht auf einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit. Und van Dongen läßt den Zeichenstift liegen, greift zu den Ölfarben – und wird Kees van Dongen, der Fauvist und Porträtist der Pariser Schickeria. Hans von der Brelie

Bis 15.6., Institut Néerlandais, Paris