Ein Kontrollfreak in der Falle

Je mehr Francis Ford Coppola um die absolute, video- und elektronikgestützte Kontrolle aller Produktionen seines Familienunternehmens Zoetrope kämpft, desto rapider verwickelt er sich in tragische Abhängigkeiten  ■ Von Thomas Winkler

Für Jack vergeht die Zeit im Flug. Er altert aufgrund eines Genfehlers viermal so schnell wie andere Kinder. Als Jack die Rede zum Abschluß des Studiums hält, ist Robin Williams' Haar schlohweiß. Im Zeitraffer ziehen die Wolken vorbei. Ein Effekt, den Francis Ford Coppola immer wieder eingesetzt hat.

Die Geschichte von „Jack“ hält alle Ingredienzen bereit, aus denen Coppola seine Masterpieces in den 70ern und 80ern zu bauen pflegte. Die Vereinsamung in einem vorbestimmten Lebenslauf, dagegen kämpft Al Pacino als Michael Corleone in der „Pate“-Trilogie ebenso wie Jack, dem seine Mutter aus Sorge verbietet, in die Schule zu gehen. Was in den „Pate“-Filmen die Mafia, ist in „Jack“ die Krankheit: ein Schicksal, aus dem auszubrechen tödlich enden kann. Und immer versprechen allein Familie und Freundschaft Heilung, mal ist es die Jugendbande, wie in „The Outsiders“ (1983), mal die Großfamilie wie in „Der Pate“ (1972 bis 1991). In „Rumble Fish“ (1983) bieten nur ein alkoholkranker Vater (Dennis Hopper) und ein geistesabwesender großer Bruder (Mickey Rourke) dem rebellierenden Matt Dillon Schutz. In „Jack“ führen schließlich die Freunde den zwar eigentlich gleichaltrigen, aber gebrechlichen Jack von der Bühne.

Das Motiv Familie/Freundschaft läßt sich nicht nur in den Filmen Coppolas, sondern auch in seiner Arbeitsweise immer wieder finden. Sein Vater Carmine komponierte ihm oft die Soundtracks, die Schwester Talia Shire, die Tochter Sofia Coppola und den Neffen Nicolas Cage engagierte er immer wieder als Schauspieler. Das setzte sich fort mit American Zoetrope, der Produktionsfirma, die Coppola 1969 in einer Lagerhalle in San Francisco zusammen mit George Lucas gründete. Es war der Versuch, Menschen seines Vertrauens um sich zu scharen, um größere Kontrolle über die Endprodukte zu erhalten. Bei seinen ersten Filmen, wie zum Beispiel „The Rain People“ (1969), arbeitete er mit extrem kleinen Crews fast ausschließlich an Originalschauplätzen, was Ende der 60er eine kleine Revolution war. Es hatte den Vorteil, daß man billig produzieren konnte und weit genug weg von den Geldgebern war, um von denen überwacht zu werden.

Liebte „Hitler“ und „Napoleon“

Coppola, ein großer Verehrer von Kurosawa und Eisenstein, der Abel Gances „Napoleon“ restaurieren ließ und Syberbergs „Hitler“ nach New York holte, hat lange eine bis zur Perfektion oder Perversion durchdachte Vision von Filmautorenschaft verfolgt. Komischerweise gestand er letztlich die Kontrolle aber nur sich allein zu. Das Projekt Zoetrope scheiterte auch daran, daß die Regisseure der wenigen Filme, die nicht unter Coppolas Regie entstanden, ständig von ihm bevormundet wurden. Wim Wenders, der unter üblen Umständen seinen Film „Hammet“ für Zoetrope drehte, sang in „Der Stand der Dinge“ ein Lied davon.

Der endgültige Auslöser für Coppolas Kontrollwahn war „Apocalypse Now“. Es waren die vier Jahre währenden, berühmt- berüchtigten und von Katastrophen heimgesuchten Dreharbeiten im philippinischen Dschungel, die ihn zu der Überzeugung brachten, daß er seine Vision vom Filmemachen mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten nicht würde verwirklichen können. Sein Perfektionismus trieb ihn so weit, während des Endschnitts in eine Art paranoider Lethargie zu verfallen. Noch heute hat die 70-mm- Version von „Apocalypse Now“ ein anderes Ende als die 35-mm- Version, weil sich Coppola nicht für einen Schluß entscheiden konnte.

Coppola, der noch 1981 behauptete, kein Bankkonto auf seinen Namen zu besitzen, hatte das ursprünglich auf 12 Millionen Dollar angesetzte Budget wie üblich überschritten, aber noch nie so katastrophal. 30 Millionen kostete „Apocalypse Now“ schließlich.

Nach den philippinischen Erfahrungen war Coppola besessen von dem, was er „electronic cinema“ nannte. Mit Hilfe neuester Computer- und Videotechnik wollte er den Produktionsprozeß völlig durchkontrollierbar machen. Er stellte sich vor, daß ein Regisseur in absehbarer Zeit nicht mehr von anderen Menschen abhängig sein würde, die einen ja doch nur aufhalten. Der Film im Kopf des Autors sollte irgendwann ohne Reibungsverluste direkt auf hochauflösendem und projizierfähigem Video landen. Das elektronische Kino sollte auch „Kunst weniger teuer und mehr Menschen zugänglich machen“.

1980 kaufte er für 6,7 Millionen Dollar das 40.000 Quadratmeter große Gelände der Hollywood General Studios, um dort Zoetrope und seiner Vision eine Heimat zu geben. Während er ständig nach Japan reiste, wo er sich mit dem Präsidenten von Sony angefreundet hatte, dessen Firma ihn tatkräftig unterstützte, versuchte er zu Hause, das in Hollywood längst ausrangierte Studiosystem wiederzubeleben. Er verpflichtete einige Schauspieler fest, darunter Raoul Julia und Frederic Forrest, aber auch Gene Kelly als Leiter der Musical-Abteilung. Die erste Produktion, der Prototyp des neuen Kinos, sollte „One From The Heart“ (1982) werden. Während der Produktionstage saß Coppola im sogenannten „Silverfish“, einem umgebauten Trailer, in dem alle aufgenommenen Bilder und Sounds zusammenliefen, er sie bearbeiten und wieder an die Beteiligten ausspucken konnte. Das gezeichnete Storyboard wurde abgefilmt und sukzessive durch fertige Videoaufnahmen ersetzt, um so einen ständigen Überblick über den Fortgang der Arbeit zu haben. Heute ist Film ohne viele der Innovationen, die während „One From The Heart“ erprobt wurden, gar nicht mehr denkbar.

Coppolas Visionen führten ihn in den Ruin, während die Praktiker in den großen Studios, darunter ehemalige Weggefährten wie Lucas, die Ernte einfuhren. Man schätzt, daß Lucas mit der renovierten Fassung seiner „Star Wars“-Trilogie eine Milliarde Dollar umsetzen wird. Als die Paramount im letzten Jahr den „Paten“ zum 25jährigen Jubiläum des Films wieder ins Kino brachte, verdiente Coppola nichts daran.

„One From The Heart“, die Geschichte um zwei Liebespaare in einem bonbonbunten Las Vegas, war ursprünglich als kleine Produktion projektiert und verschlang schließlich 36 Millionen Dollar, weil die Technik noch in den Kinderschuhen steckte. Der Film spielte nur eine Million ein, und Coppola mußte das Gelände wieder verkaufen. Seitdem war er damit beschäftigt, seine Schulden abzutragen.

Für Projekt XY noch mal alles auf eine Karte

Der Versuch, die größtmögliche Kontrolle zu erreichen, endete darin, daß Coppola seine Unabhängigkeit verlor. Was er an technologischer Evolution betrieben hatte, kam ihm zwar anschließend bei kleineren Produktionen wie „Rumble Fish“ zugute, die er relativ billig herstellen konnte. Doch Flops wie „Cotton Club“ (1984) oder „Tucker“ (1988) ruinierten nicht nur das Konto, das er nie besessen hatte, sondern sorgten auch dafür, daß kein Studio dem für Budgetüberschreitungen berüchtigten Coppola noch weitestgehende Kontrolle zugestand. „Man muß entweder einen Job annehmen“, erzählte er im letzten Jahr frustriert, „oder ein Studio zu einem Projekt überreden. Wenn man das tut, reden sie einem sofort rein und kontrollieren alles.“ Also nahm er ihre Jobs an. Und auch das nur selten. Zwischen „Bram Stokers Dracula“ (1992) und „Jack“ lagen vier Jahre Pause, die längste regielose Zeit seiner Karriere.

Hatte „Dracula“ wenigstens noch die visuelle Kraft, die Coppolas beste Filme auszeichnete, sieht „Jack“ aus wie die Auftragsarbeit, die er ist. Zuletzt übernahm er die Verfilmung des Grisham-Bestsellers „The Rainmaker“, während seine Idee, Jack Kerouacs „On The Road“ zu verfilmen, nicht so recht vorankommt, obwohl er bereits 1969 die Rechte erworben hat. In Interviews taucht immer wieder ein geheimnisvoller Film auf, an dessen Buch er seit Jahren arbeiten soll, den der Kontrollfreak aber vollständig selbst finanzieren will. Wenn er das Geld zusammen hat, so verriet er Premiere, wird er seine Frau fragen, ob er wieder einmal alles auf ein Karte setzen und sein gesamtes Vermögen in den Regisseur und Autor Francis Ford Coppola investieren darf: „Und wenn sie ja sagt, dann werde ich es tun.“

„Jack“. Regie: Francis Ford Coppola. Mit Robin Williams, Diane Lane, Brian Kerwin, Jennifer Lopez u.a. USA 1996, 113 Min.