Umwelt ohne Antreiber

■ Der Rio-Prozeß stockt. Wo sind die skandinavischen Vorreiter geblieben? Heute Start der taz-Serie: 5 Jahre nach Rio

Die nächsten zehn Jahre sind kritisch. Es ist Zeit, mit bisherigen Mustern zu brechen.“ Im April 1987 versuchte die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, besser bekannt als „Brundtland-Kommission“, ein Zeichen für eine ökologische Wende zu setzen. Hungerkatastrophe in Äthiopien, Tschernobyl, ein vergifteter Rhein, Seehundsterben im Atlantik: Die Warnung vor einem globalen Zusammenbruch des Ökosystems schien nicht weit hergeholt.

Die Vereinten Nationen sollten die Maßstäbe setzen, und in den Ländern sollten von der Schwerindustrie bis zu den Umweltschutzorganisationen alle zusammenarbeiten für eine bessere Welt. In Rio kulminierte dieser Prozeß im Sommer 1992 mit dem UN-Umweltgipfel. Die Staatschefs unterschrieben den Handlungsplan für das 21. Jahrhundert (Agenda 21), eine Klimakonvention und eine Konvention über biologische Vielfalt. Fünf Jahre nach Rio will die UN in New York Bilanz ziehen. Das Fazit steht schon fest: Es ist beunruhigend wenig geschehen.

Auf 6.000 Milliarden Dollar pro Jahr waren die Kosten für die Verwirklichung der „Agenda 21“ für die Industrieländer berechnet worden. Sind es global gesehen primär die „großen acht“ (China, Indien, USA, Indonesien, Brasilien, Rußland, Japan und Deutschland), die mit 56 Prozent der Weltbevölkerung und 58 Prozent der globalen Kohlendioxidbelastung entscheiden, wie weit die „Agenda 21“ verwirklicht werden kann, waren es gerade die kleineren Länder wie Norwegen, Schweden, Dänemark und die Niederlande, die als „schlechtes“ Weltgewissen eine Vorreiterrolle spielten. Doch auch für diese fällt die Nach-Rio-Bilanz bescheiden aus – ohne daß leere Staatskassen als Entschuldigung ausreichen. Norwegen etwa war vor der eigenen Haustür frustrierend untätig. Vom Schutz biologischer Vielfalt will man in Oslo nichts wissen, wenn es um die Methoden der eigenen Fischereiindustrie geht. Und das Ziel, den einheimischen Kohlendioxidausstoß bis zum Jahre 2000 auf dem Niveau von 1990 zu stabilisieren, hat man aufgegeben. Statt dessen hofft man, die Steigerung auf 15 Prozent begrenzen zu können.

Und Kritik aus der EU an seiner in Westeuropa beispiellosen Treibhausgas-Steigerung hört Norwegen schon gar nicht gern: Die, so Umweltminister Thorbjörn Berntsen, die mit 13 Prozent der Weltbevölkerung für 25 Prozent des Klimagasausstosses stünden, sollten erst mal vor der eigenen Haustür kehren. Schließlich untersagten sie Dänemark und Schweden, wirksame Kohlendioxidsteuern zu erlassen – der Autoindustrie zuliebe. Nur einige Tage ist es her, daß der EU-Gerichtshof den Schweden eine Ausnahmegenehmigung weggeurteilt hat, die man in Stockholm glaubte, sich bei den Beitrittsverhandlungen erstritten zu haben, sich aber dummerweise nur „informell“ geben ließ. Jeder, der in Schweden einen Pkw verkaufte, mußte bisher in einer Zusatzgarantie eine Funktionshaftung bezüglich des Katalysators für die Lebenszeit des Autos übernehmen, denn in der Praxis machen viele Katalysatoren schon nach dem zweiten TÜV schlapp.

Mußte Schweden sich bislang nur ausnahmsweise Verschlechterungen von Brüssel aufdrücken lassen – meist hatte es vierjährige Übergangsfristen ausgehandelt –, ist der EU-Neuling trotz aller gegenteiliger Hoffnung damit gescheitert, zusammen mit Dänemark, den Niederlanden und vielleicht Österreich, umweltpolitisch etwas zu bewegen. So hat Brüssel z. B. auch den Plan einer scharfen Kohlendioxidsteuer ausgebremst.

Zwar bat Schweden andererseits darum, zu Beginn des nächsten Jahrtausends zeitweise mehr Kohlendioxid auszupusten. Doch das werden auch Umweltschützer gern in Kauf nehmen: Es dient dazu, den Ausstieg aus der Atomenergie nicht zu teuer werden zu lassen. Daß Schweden dagegen seine letzten Naturwälder zu Pappe verarbeitet und damit massiv die biologische Vielfalt gefährdet, daran ist nicht Brüssel schuld, sondern Rücksicht auf die heimische Forst- und Papierindustrie.

Die eigentliche Stunde der Wahrheit für die Umweltpolitik der EU und Schwedens – sowie der anderen EU-Neulinge – kommt erst in zwei Jahren. Nach der ausgehandelten vierjährigen Übergangsfrist für die schärferen schwedischen Umweltgesetze sollten diese mit der Rest-EU wieder harmonisiert werden. Durch ein Anheben des EU-Niveaus, hatte man in Stockholm gehofft und dies bei den Beitrittsverhandlungen auch so verstanden. Die zweite Halbzeit läuft bereits, und nach über zwei Jahren ist seitens Brüssel praktisch noch nichts passiert, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Die Anpassung droht fast durchweg mit einem Kahlschlag der progressiveren Umweltschutz-Gesetzgebung der neuen Mitgliedsländer zu enden.

Schweden, Norwegen und Rio: Für ein Land ist die EU der Bremser oder zumindest die bequeme Entschuldigung, wenn die Staatskassen angeblich sowieso nicht mehr für Umweltschutz hergeben wollen. Beim Nicht-EU-Mitglied Norwegen soll ein Mehr des national erzeugten Umweltschmutzes heute einer saubereren globalen Umwelt morgen dienen. Und überall werden die Interessen einheimischer Schlüsselindustrien allemal höher eingestuft als die in der „Agenda 21“ eingegangenen Verpflichtungen. Für die Rio-Zwischenbilanz bleibt jedenfalls nichts als ein Minuszeichen unter dem Strich übrig. Reinhard Wolff