Einer muß das Arschloch sein

■ Freitag. Wieder eine Arbeitswoche vorbei. Feierabend. Und? Wie geht's? Sind Sie fertiggemacht worden im Büro? Oder haben Sie lieber selbst genüßlich mitgemobbt gegen den Kollegen? Von Barbara Dribbusch

Einer muß das Arschloch sein

Klassisches Mobbing war es nicht im EDV-Unternehmen bei Berlin. Der Ingenieur aus dem Westen war der Geschäftsführung einfach zu teuer geworden. Der Chef stellte einen zweiten Ingenieur ein, zum niedrigeren Osttarif. Leider werde man nach Ablauf eines halben Jahres nicht beide behalten können, wurde den beiden Kollegen angedeutet. Der erste Mann fühlte sich gemobbt.

„Es kommt immer häufiger vor, daß Mitarbeiter aus Kostengründen einfach weggeekelt werden“, erklärt der Berliner Arbeitsrechtsanwalt Claus Conrad. Ist der Psychodruck groß genug, gibt das Opfer von alleine auf – und spart so hohe Abfindungen, die fällig werden, wenn ein kündigungsgeschützter Mitarbeiter gehen soll.

Laut einer noch unveröffentlichten Befragung der Beratungsfirma „Profile“ unter Mobbing- Opfern räumte die Hälfte der Beratenen am Ende ihren Arbeitsplatz. Die rund 100 Befragten klagten am häufigsten über vegetative Symptome wie Magen- und Kopfschmerzen. Die meisten litten unter Angstgefühlen, bei vielen hatte sich der Streß schon in Arbeitsproblemen niedergeschlagen. Durchschnittlich waren die Gemobbten während ihrer Leidenszeit achteinhalb Wochen krank geschrieben. „Mobbing schwächt das Immunsystem“, so Kati Jauhiainen von „Profile“ in Berlin.

Nach klassischer Definition ist Mobbing die Ausgrenzung einzelner aus dem Kollegenteam: etwa durch fortgesetzte Verbreitung von Gerüchten, Kontaktverweigerung und beruflichem Kaltstellen. Nach Hochrechnungen des TÜV- Rheinland sind mehr als eine Million Berufstätiger in Deutschland davon betroffen. Die Übergänge zwischen Mobbing, betriebsüblichem Streß und normalen Konkurrenzkämpfen sind fließend. Wenn Mobbing geschickt gemacht wird, kann man kaum was dagegen tun. Ungünstige Dienstpläne, die massive Übertragung unbeliebter Arbeit und vor allem Versetzung an andere Orte sind übliche Mittel, um Beschäftigte unter Druck zu setzen.

Eine Auswertung von 2.100 Anrufen beim Mobbing-Telefon der Gewerkschaft DAG in Hamburg ergab, daß vor allem in Bürojobs, in der Gesundheitsbranche, in Schulen und der Softwarebranche gemobbt wird. Vor allem Frauen fühlen sich bedroht.

Besonders in Bereichen, wo umstrukturiert und rationalisiert wird, „nimmt das Mobbing überhand“, sagt der Seevetaler Arbeitspsychologe Martin Resch. Der Gruppendruck steige beispielsweise, wenn bei einer Bank eine teambezogene Vergütung eingeführt wird. „Wenn es dann keine Regeln gibt, wie mit den Schwächsten umgegangen wird, dann werden die unter Druck gesetzt.“ Resch hat eine Sparkasse beraten, wo bei der Neustrukturierung von Gruppen die Schwächeren „weitergereicht werden wie unliebsame Wanderpokale“.

Die Sündenböcke sind die Blitzableiter für den Streß der anderen. „Es zeigt sich, daß die Mobber den Mobbingopfern genau das absprechen und entziehen, was sie für sich selbst aggressiv verteidigen wollen: Ansehen, Sicherheit, Handlungsfreiheit“, betonen die Autoren Axel Esser und Martin Wolmerath in ihrem neu erschienenen Ratgeber „Mobbing“ (Bund-Verlag).

Auf dem jüngsten Ärztetag beklagten die Mediziner, daß der zunehmende Leistungsdruck allerorten das Klima vermiest. Auch in der eigenen Branche: Das Blatt Marburger Bund – Ärztliche Nachrichten veröffentlichte eine Umfrage, nach der sich bei den Landesverbänden der Ärztegemeinschaft wöchentlich drei bis vier Mobbing-Opfer unter KlinikärztInnen meldeten. Der Vizepräsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, berichtete von Fällen, in denen Ärzten von Kollegen falsche medizinische Ratschläge gegeben wurden, um sie auflaufen zu lassen.

Bei den Beratern von „Profile“, die mit der Gewerkschaft HBV zusammenarbeiten, melden sich viele Angestellte aus jungen Unternehmen der Softwarebranche. „Da gibt es oft keinen Betriebsrat, aber es herrscht großer Leistungsdruck. Die Leute machen ein Jahr lang unbezahlte Überstunden und sollen dann auch noch am Sonntag zum Meeting kommen“, sagt Jauhiainen. „Wenn sie das ablehnen mit dem Hinweis auf ihre Familie, sagt der Chef: ,Wer bei uns arbeitet, braucht keine Familie.‘“