"Liebe taz..." - Fernsehgericht, betr.: Der Fall Stradivari, ARD-Sendung am 28.5., live aus dem Schlafzimmer des Angeklageten, taz vom 5.5.1997

siehe oben

Die von der ARD ausgestrahlte Reportage über den Fall Stradivari hat mich in mehreren Punkten so verärgert, daß ich sie nicht unkommentiert lassen möchte. Die Darstellung der alltäglichen Polizeiarbeit ist sicherlich ein interessantes Thema, auch wenn der gezeigte Film bemerkenswert kritiklos bleibt. Was den Beitrag ins journalistische Zwielicht rückt, ist seine Verurteilung eines anfangs der Mittäterschaft verdächtigten Musikers, der sich jedoch längst wegen mangelnden Tatverdachts wieder auf freien Fuß befindet. Von Anfang an wird hier, ganz nach Privatsendermethode, durch geschicktes Hintereinandersetzen von schockierenden Szenen der pathologischen Untersuchung der Frau Grevesmühl und Aufnahmen des geigespielenden Vasile D. ein eindeutiger Zusammenhang suggeriert: Auf der einen Seite das tragische Opfer, auf der anderen Seite der kaltschnäuzige Drahtzieher und Lieblingsschüler der Toten, der auch noch die Frechheit besitzt, mit Unschuldsmiene ein seiner Lehrerin gewidmetes Stück vorzutragen. Der Verdacht gegen den vermeintlichen Mittäter wird immer wieder zu untermauern versucht:

Wir sehen eine fassungslose Beamtin, die sich während eines Verhörs über die angebliche Kaltschnäuzigkeit des jungen Geigers ereifert, der trotz ausgefeilter Verhörmethoden ein Geständnis verweigert. Wir dürfen der Kamera in die Wohnung des Beschuldigten folgen und den Beamten beim Durchwühlen seiner Privatsphäre zusehen, verfolgen eine Unschulds erklärung vor der Kamera (ist da nicht ein hämisches Grinsen in dem vom Kameralicht geblendeten Gesicht?) und erfahren zu allem Überfluß, daß er sich, kaum wieder auf freiem Fuß, ein Benefizkonzert organisiert hat.

Über den geständigen Täter, Herrn Boaka, erfahren wir wenig, obwohl der doch der einzige Belastungszeuge gegen Herrn D. ist. Nur nebenbei wird erwähnt, daß er sich bei seinen Beschuldigungen in Widersprüche verstrickt hat und damit der Verdacht der Mittäterschaft Herrn D.'s hinfällig geworden ist. Aber ein Fernsehgericht läßt sich davon natürlich nicht täuschen. Es entsteht der Eindruck, daß hier neben der Ermittlungsarbeit der Polizei auch die „Ermittlungen“des Fernsehteams der Öffentlichkeit präsentiert werden, das im Namen des Volkes ein Urteil gefällt hat. Hier wird nicht mehr objektiv recherchiert und dokumentiert, sondern vorverurteilt, was der Boulevardpresse gut zu Gesicht stünde, nicht aber einer öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt. Ich kann nur hoffen, daß Herr D. die Verantwortlichen wegen Rufmordes zur Rechenschaft zieht, wenn sich im Zuge des Gerichtsverfahrens seine Unschuld herausstellen sollte. A. Rudershausen