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Kolonialer Kulturtransfer

Zur Rolle deutscher und europäischer Architektur in China. Sie schuf Monumente des Kolonialismus und war ein Fanal der Moderne  ■ Von Robert Kaltenbrunner

Die politischen und wirtschaftlichen Metamorphosen des Wandels in China spiegeln sich nicht nur in der westlichen Rezeption, sondern auch in der Kultur vor Ort. Selbst der Veränderungsdruck und die Verlustängste, die in der anstehenden Rückgabe Hongkongs gründen, sind hierfür bloß ein Symptom. „Chinesisches Denken als Substanz, westliches Denken zum Nutzen“: So hieß vor rund hundert Jahren schon das Reformkonzept, mit dem das Reich der Mitte den Anschluß an die Moderne sicherstellen wollte. Sehr viel hat sich an dieser Strategie nicht geändert, wie der Umgang mit den Menschenrechten zeigt.

Europäische Wurzeln finden sich hingegen in der Architektur ihrer Großstädte wieder. Die Geburtsstunde dieser Arenen kam mit dem Kniefall des chinesischen Kaisers. 1842 wurde mit dem Vertrag von Nanjing der sogenannte Opiumkrieg beendet. Engländer und Franzosen schufen sich in raffiniert gehaltenen Klauseln ein sehr weitreichendes Siedlungs- und Handelsrecht. Kanton, Tianjin, Amoy – viele später bedeutende Städte waren damit dem Zugriff für koloniale Interessen gesichert worden. Ihnen allen lief Shanghai in kürzester Zeit den Rang ab. Die von Ausländern in Auftrag gegebenen Bauten in den Konzessionsgebieten vermitteln in ihrer historischen Gestaltung und in ihrer aufstrebenden Wucht noch dem Unbefangensten eine Dominanz fremder Kräfte. Gerade das Beispiel Shanghai verdeutlicht eine gezielte Strategie: Das Höhenwachstum der Bauten, ihre exponierte Stellung am Hafen, die Bildung eines halbwegs geschlossenen Ensembles – all das ist eine geschickt inszenierte und zudem imposante Kulisse westlich geprägter Architektur.

In überraschender Noblesse trägt Shanghai noch heute alle Zeichen westlicher Kultur. Die ganze Pracht wurde, sprichwörtlich, vorgeführt und war doch nicht allen offen; sie entsprach der hermetischen Welt kolonialer Herrlichkeit. Für die einheimische Bevölkerung stellte sie eine Art Paradies dar – und war, wie man den eindringlichen Reportagen Egon Erwin Kischs von 1932 entnehmen darf, ähnlich schwierig zu erreichen. Zentrum dieses „Bunds“ (ein anglo-indisches Kauderwelsch für Kai oder Uferstraße) ist heute noch Shanghais großer Boulevard, auch wenn er nun offiziell Zhongshan Dong Lu heißt. Hier, vom ehemaligen Quai de France bis zur früheren Garden Bridge, spiegelte sich die Kolonialgeschichte in den eigenen Monumenten: der gotische Tempel der ehemaligen Commercial Bank, der barocke Bau der früheren Asiatic Petroleum Company, die klotzige Bank of China und – im Stil der amerikanischen Chicago-School – Sassoon-House mit dem alten Cathay-Hotel.

Zu einer Zeit, da sie in Europa nur vereinzelt und unter der Schirmherrschaft günstiger politischer Konstellationen realisiert werden konnte, ließ sich in Shanghai straßenweise eine (klassisch-)moderne Architektur bauen. Vor allem ein französischer Einfluß ist kaum zu übersehen, aber auch tschechische und ungarische Architekten konnten hier als europäische Emigranten verwirklichen, was ihnen zu Hause verwehrt blieb.

Die Voraussetzungen waren günstig: An welche Tradition oder Wertvorstellung hatten die für Ausländer bauenden fremden Architekten sich schon zu halten? In den Ländern ihrer Herkunft war es neben der radikalen, reduzierten Formensprache auch die Betonung revolutionärer Inhalte, die bei den breiten Massen und in konservativen Kreisen auf Unverständnis, wenn nicht Widerstand stieß. In Shanghai ließen sich diese Formen verwenden, um damit Weltaufgeschlossenheit und Bereitschaft zur Modernisierung zu demonstrieren. In ihrer Gesamtheit ist die „moderne Architektur“ Kulminationspunkt eines liberalen ausländischen Bürgertums, das bereit war, sich mit avantgardistischen Positionen zu schmücken. Und so ist die historische Stadtgestalt Shanghais beides: Monument des Kolonialismus und Fanal der Moderne.

Auf eine ähnlich widerstrebige Entwicklung trifft man auch in Qingdao (Tsingtao), der einzigen deutschen Stadtneugründung Asiens. Die Geschichte der Stadt ist vergleichsweise kurz: Als am 1. November 1897 zwei deutsche Missionare in Südwest-Shandong ermordet wurden, gab Kaiser Wilhelm II. den Befehl zur Besetzung der Bucht von Jiauzhou (Kiautschou) durch die deutsche Flotte. Das Attentat war ein geeigneter Anlaß für die Errichtung eines deutschen Marinestützpunkts an der Küste Chinas. Vier Monate nach dem Einmarsch schloß man mit der chinesischen Regierung einen – aus deutscher Sicht – sehr diplomatisch formulierten „Kiautschou-Vertrag“ ab. Für 99 Jahre pachtete das deutsche Reich ein Gebiet, das an die 1.100 Quadratkilometer Land- und Seefläche einbezog. Doch anders als im britischen Hongkong, für das dieser Vertrag das Vorbild gab, dauerte die deutsche Herrschaft nur 17 Jahre. Am 17. November 1914 wurde Qingdao von den Japanern erobert und okkupiert.

Dennoch wurde binnen weniger Jahre Qingdao praktisch aus dem Nichts zu einer wahrhaft deutschen Stadt umgebaut. Das Wohnhaus für den deutschen Gouverneur Oskar Treppel wurde nach einem Entwurf von Strasser und Mahlke im neuromantisch-wilhelminischen Stil gebaut und mit Granit-Rustika und diversen Jugendstilornamenten versehen. Auch das Regierungsgebäude von Mahlke besteht aus einem ähnlichen Stilgemisch und dient heute als Rathaus. Sehr viel klarer und zurückhaltender in seiner Form ist Hans Fittkaus zwischen 1912 und 1914 gebautes kaiserliches Gericht, das das Privileg einer deutschen Gerichtsbarkeit – selbst bei Prozessen gegen Chinesen – bildhaft macht. Zuletzt sei noch auf das, irgendwo auf dem Weg von der Neugotik zur Neorenaissance steckengebliebene Polizeidienstgebäude (1904/05) nach einem Entwurf des Regierungsbaumeisters Wentrup hingewiesen.

Mit dem Nationalismus der Jahrhundertwende entschlossen sich die deutschen Vertreter in China zu einer modifizierten Neorenaissance, deren Architektur das deutsche Wesen zum Ausdruck bringen sollte. Stilprägend war wohl 1904 der Entwurf Heinrich Beckers für den Club Concordia in Shanghai: Neben den Repräsentanzen der Deutsch-Asiatischen Bank in Shanghai, Jian und Beijing baute er mehrere Villen, Geschäftshäuser und den deutschen Gartenklub. Diese Bauten fungierten nicht bloß als Symbol des wirtschaftlichen Erfolgs in den internationalen Niederlassungen, sondern sie repräsentierten auch auf den Weltausstellungen – wie selbst Muthesius 1908 betonte – „den deutschen Beitrag zu einem architektonischen Völkerwettkampf“.

All dies umgibt Qingdao wie Shanghai mit dem glasigen Schimmer vergangener Größe und einem morbiden Charme. In ihrer Heterogenität sind beide Städte nicht nur einzigartig, sondern auch in sich konsistente, urbane Gebilde. In allen erdenklichen Stilvariationen wirkt die europäische Architektur der Jahre 1890 bis 1940 noch heute nach. Seit Beginn der achtziger Jahre setzt man sich in China viel stärker mit diesem Erbe auseinander. So sieht auch der ehemalige Botschafter Per Fischer das Besondere darin, „daß der Transfer westlicher Baukunst heute in China als Teil der Geschichte der eigenen modernen Architektur und damit als kulturelles Erbe empfunden wird. Die Ausländer bauten sich ja größtenteils ihre öffentlichen Gebäude und Wohnhäuser, um Elemente ihrer heimatlichen Umgebung nach China zu verpflanzen und sich damit von der fremden Umwelt zu isolieren. Aber es gehört zum Genie des chinesischen Volkes, fremde Einflüsse aufnehmen und assimilieren zu können, um damit – trotz des eigenen kulturellen Reichtums – selbst bereichert zu werden.“

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