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Auf Rieselfeldern

Eine Theaterschließung, ein Hungerstreik und allgemeine kulturelle Verheerung. Über das Dilemma brandenburgischer Kulturpolitik  ■ Von Nikolaus Merck

Seit Tony Blairs Erdrutschsieg wähnt sich die deutsche Sozialdemokratie wieder im Aufwind. Doch wie schwierig es ist, die New-Labour-Strategie, nämlich die Förderung von Bildung und Kultur, ganz oben auf die Karte der Verlautbarungen zu setzen, wird in Brandenburg deutlich, wo die Stolpe-Jünger zernichten, was Wende und Krise von der kulturellen Möblierung des Landes übriggelassen haben. Orchester- und Theaterensembles werden flächendeckend verheert, der Off-Kultur die letzten Brösel Förderung entzogen. Keine Aussicht, daß Sozialdemokraten die finanzielle Krise der Kultur als Chance begriffen, überkommene Strukturen zukunftsfähig umzubauen.

Theaterschließungen verstärken Depression

Jüngstes Beispiel ist die vorgesehene Schließung der Musiksparte des Kleist-Theaters Frankfurt (Oder). Der Hungerstreik des Personalratsvorsitzenden Wolfgang Riedel mag eine grotesk überzogene Reaktion sein. Aber fraglos schlägt sich die Beseitigung kultureller Einrichtungen depressionsverstärkend auf die Stimmung des Landvolks nieder. „Bei uns wird alles plattgemacht“, lautet der Tenor. Die einfache Lehre, daß die gescheiterte Fusion Berlins und Brandenburgs einer kulturellen Identitätskrise entsprang, haben die Regierenden bis heute nicht verstanden. Nicht abermals wollten sich die Neupreußen dem Westen, in Gestalt der dominierenden Westhälfte Berlins, in die Arme werfen und zur bloßen Umlandpopulation verkommen, gerade noch brauchbar als Hüter von Rieselfeldern und Mülldeponien.

Jung, eloquent und witzig, gilt Brandenburgs Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Steffen Reiche, als Kronprinz des Landesfürsten Manfred Stolpe. Doch obwohl Reiche als Landesvorsitzender der SPD vorsteht, gelingt es ihm nicht, die Matadoren am Kabinettstisch zur Überprüfung ihrer finanziellen Prioritäten zu bewegen. „Wieviel Geld für Kultur ausgegeben wird, ist eine politische Entscheidung“, sagt Reiche. Und die Zahlen sprechen gegen ihn.

Um nahezu zehn Prozent hat Finanzministerin Wilma Simon den Etat des Reiche-Reiches für 1998 zusammengestrichen. Die Summe von 84 Millionen Mark für Kulturförderung soll um zehn Millionen sinken. Das Aus für die kleinen Orchester in Prenzlau und Senftenberg, die einzigen Einrichtungen ihrer Art in der jeweiligen Region, ist abzusehen. Auch die Förderung der „Soziokultur“ – Malschulen, Jugendbegegnungsstätten und Freizeiteinrichtungen wie der Lindenpark in Potsdam –, die 1994 noch zwölf Millionen Mark betrug, wird gegen die Jahrtausendwende wohl eingestellt werden. Die Städte, lange schon am Rand der Zahlungsunfähigkeit, können die Lücke nicht schließen. Zugleich versickern etwa im Etat des Wirtschaftsministeriums unabgerufene Fördermittel in Millionenhöhe. An der Verrücktheit, 120 Millionen Mark in den Bau einer Autorennbahn in der Lausitz zu investieren, stießen sich bereits einige am Kabinettstisch. Allein, die Diskussion wurde im Handumdrehen abgewürgt. Der Lausitzring gilt als erklärtes Lieblingsprojekt Stolpes. Autorennen statt Bergbau. 1.500 Arbeitsplätze versprechen die zukünftigen Betreiber des Lausitzrings, das ersetzt eine ganze Staffel berechtigter Einwände.

Eine Lobby wie der Lausitzring besitzen Kleinorchester und Soziokultur nicht. Deshalb hat Steffen Reiche kein Problem mit ihrer De- facto-Abschaffung. Auch wenn der Schaden die 1,5 Millionen Mark Einsparung bei weitem übersteigt. Anders sieht die Sache im Falle der Theater und großen Orchester aus. Die Schließung solcher Einrichtungen hinterläßt häßliche Flecke auf Politikerwesten. Denn selbst wenn die Bürger ihre Theater niemals betreten, unterhalten sie oft eine mythisch verklärte Beziehung zur bloßen Existenz der Kulturinstitute. Erst recht in Ostdeutschland, wo die sozialistische Feudalbürokratie jeder Kleinstadt ein Dreispartenhaus spendierte.

Verklärte Beziehung zum Theater

Die Theater und Orchester sollen die Hälfte der „Einsparungen“ im Kulturbereich erbringen. Nach einem „Schwund“ von 400 Stellen in den ersten sechs Jahren nach der Vereinigung ist abermals mindestens ein Fünftel der noch bestehenden 1.200 Stellen akut gefährdet. Längst Makulatur ist die vom Landtag abgesegnete Zusage, in den kommenden Jahren Landeszuschüsse in gleicher Höhe wie 1996 zu zahlen. Da die Kommunen, die sich den Unterhalt der Bühnen mit dem Land teilen, in der Vergangenheit regelmäßig die Theateretats kürzten, konnte sich der Minister bisher bequem zurücklehnen und abwarten. Denn die Regel des Spiels lautet: Gibt der eine Partner weniger Geld, zieht der andere in gleicher Höhe mit. Das Land versteckte sich hinter den zahlungsunfähigen Theaterstädten und die hatten den Schwarzen Peter. Nächstes Jahr ändert sich das Szenario, weil das Ministerium nun seinerseits Einsparungen verkündet. Zu allem Überfluß drohen 1998 Kommunalwahlen.

Am Alten Markt in Potsdam rauchen derzeit die Köpfe der Ministerialen. Die Problemstellung ist klar: Weil die Ballettensembles und Musiktheater im Lande, außer am Staatstheater Cottbus, bereits flächendeckend abgebaut wurden oder vor dem Abbau stehen, geht den drei großen Orchestern in Potsdam, Frankfurt und Brandenburg die Arbeit aus. Also sollen die Ensembles in Frankfurt und Cottbus sowie in Potsdam und Brandenburg zuerst kooperieren, später fusionieren. Aus vier mach zwei. Ein harter Brocken, denn wegen der unangreifbaren Tarifregelungen der Musiker kostet ihre Entlassung kurzfristig mehr als die Weiterbeschäftigung. Zudem genießen die großen Musiktruppen, ein Ergebnis ihrer unermüdlichen Lobbyarbeit, überall das Wohlwollen der lokalen Honoratioren, die lieber die Musik- und Schauspieltheater bis zur Spielunfähigkeit verkleinern, als den dritten Paukisten zu entlassen.

Und Reiche begeht dieselben Fehler wie im letzten Jahr, als er schon einmal mit seinem Vorschlag scheiterte, die Orchester und Theater von Brandenburg und Potsdam zu fusionieren (taz vom 28. 12. 1996). Weder räumt er den Instituten die notwendige Zeit ein, sinnvolle Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln, noch ist er in letzter Konsequenz bereit, die auf den Erhalt ihrer repräsentativen, aber zuschauerlosen Orchester bedachten Kommunen durch Entzug der Subventionen zu einer durchaus sinnträchtigen Zusammenarbeit zu zwingen. So verhindert der Minister selbst die qualitative Reform und zerstört durch Kürzung nach dem Rasenmäherprinzip zuletzt alle Theater und alle Orchester gleichermaßen.

Während die Ensembles zerschlagen werden, baut das Land mit Hilfe von EU-Mitteln zwei neue Theater in Frankfurt (Oder) und Brandenburg. Da aber die EU keine Theaterbauten fördert, entstehen multifunktionale Mogelpackungen, Kultur- und Kongreßzentren genannt. Um ihr Schärflein beizutragen, müssen die Städte Kredite aufnehmen. So ist etwa Frankfurt in Zukunft darauf angewiesen, Firmentagungen in sein „Kleist Kultur- und Kongreßzentrum“ zu locken, um mit den erhöhten Einnahmen die Schulden zu tilgen. Man denke, in der gesamten Republik warten abenteuerlustige Anzugträger ungeduldig darauf, endlich in der fiebrigen Atmosphäre einer östlichen Grenzstadt zusammenzutreffen. 80 Kilometer entfernt von Berlin, in einer steingewordenen Tristesse, die nur durch den Billigmarkt jenseits der Oder, durch Schlägerbanden und einen immerwährenden Stau von sich reden macht.

Ohne interessantes Theaterangebot, soviel ist klar, wird es in der Oderstadt jedenfalls keine Kongresse geben. Bloß schade, daß Frankfurts Intendant Manfred Weber, um die Sparauflagen von Stadt und Land zu erfüllen, bis nächstes Jahr ein Musiktheater abwickeln muß. Noch ärger: Da Garderobieren und Hausmeister, in Diensten des Theaters ergraut, zum Großteil unkündbar sind, werden zusätzliche Stellen im Schauspiel gestrichen werden müssen. Doch trotz des offenbaren Widersinns, entlockte der Hungerstreik, mit dem der Personalratschef Wolfgang Riedel seit Ende Mai gegen dieser Art Kürzungen protestiert, Steffen Reiche nur ein Schulterzucken. Vielleicht spielen im Jahr 2000 fahrende Truppen zum Tanz in Frankfurts neuem Theater auf. Dann hätte sich des Ministers Wohltat als Kuckucksei entpuppt, und das Kongreß- und Kulturzentrum stünde da: als Haus mit Hüter, aber ohne Künstler.

Steffen Reiche wird, falls er die Kulturverwesung politisch überlebt, gewiß rechtzeitig das Ressort wechseln. Und darauf setzen, daß immerwährendes Vergessen seine früheren Heldentaten gnädig umhüllt. Nur die Städte Brandenburg und Frankfurt werden ihm ihren Bankrott niemals verzeihen.

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