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■ Von Kongo bis Sierra Leone – in Afrika löst das Gewehr die Wahlurne als Mittel der politischen Veränderung abNachts vom Buschkrieg träumen

Der furiose Sieg der AFDL- Rebellen unter Laurent Kabila in Kongo/Exzaire hat Afrika erschüttert. Wer hätte es je für möglich gehalten, daß ein zusammengewürfelter Guerillahaufen, wenn auch mit ausländischer Unterstützung, in wenigen Monaten quer durch eines der größten Länder des Kontinents marschiert und eine der ältesten Diktaturen der Welt verjagt?

Noch vor wenigen Jahren waren Demokraten in Afrika vor allem damit beschäftigt, sich an den neugegründeten Mehrparteiensystemen zu beteiligen, und richteten immense Hoffnungen auf freie Wahlen und die Stärkung der Zivilgesellschaft. Nachdem die erste Herrschergeneration des unabhängigen Afrika sich dreißig Jahre lang mit Diktatur und Mißwirtschaft diskreditiert hatte, sollte in den neunziger Jahren der friedliche Wandel die „zweite Befreiung“ des Kontinentes bringen. Mit dem unblutigen Ende der Apartheid in Südafrika im Jahr 1994 feierte dieses Denken seinen bislang größten Triumph.

Aber heute heißt der Held von Systemfeinden in Afrika immer öfter nicht mehr Nelson Mandela, sondern Laurent Kabila. Nigerianische Demokraten feierten den Einmarsch von Kabilas Rebellen in Zaires Hauptstadt Kinshasa und die Errichtung der „Demokratischen Republik Kongo“ als Vorwegnahme ihres eigenen erwünschten Sieges über die Militärdiktatur. Kameruns Oppositionsparteien drohen angesichts einer vermuteten Wahlfälschung bei den Parlamentswahlen mit dem bewaffneten Aufstand. Der Oppositionschef der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, konstruiert aus seiner Namensgleichheit mit Laurent Kabila ein Warnzeichen für die autoritären Herrscher in seinem Land.

Es sind Vorboten eines grundlegenden Wandels der politischen Kultur Afrikas. Neuestes Beispiel ist der Militärputsch in Sierra Leone, der sich zunehmend als eine populäre Revolte gegen ein Regime erweist, das zwar demokratisch gewählt war, sich aber mehr auf die Hilfe nigerianischer Militärs und südafrikanischer Söldnerfirmen verließ als auf Rückhalt in der Bevölkerung.

Das Afrika von morgen schickt sich an, mit Gewehren statt Wahlprogrammen die Zitadellen der Macht zu stürmen. Denn der abgedroschene linksradikale Spruch, daß Wahlen verboten wären, wenn sie etwas ändern könnten, erfuhr in den letzten Jahren in Afrika allzuoft eine unrühmliche Bestätigung. Allzu viele Staatschefs haben einen bereits begonnenen Demokratisierungsprozeß gestoppt und Wahlen verboten, wenn die Gefahr drohte, es könnte sich tatsächlich etwas ändern.

Es gibt kaum eine denkbare Manipulation des demokratischen Prozesses, die nicht schon irgendjemand in Afrika ausprobiert hat: Plumpes Fälschen der Ergebnisse, Vollstopfen von Wahlurnen mit Stimmen für den Amtsinhaber, Wegschmeißen von Gegenstimmen, Streichung mißliebiger Kandidaten oder Hinzufügung von Phantomparteien auf die Wahllisten, unvollständige Wählerregistrierung, Wählerbestechung, angedrohte Umgehung des Wahlgeheimnisses, trickreiche Besetzung von Wahlkommissionen und Verfassungsgerichten, endlose Wahlverschiebungen, Wahlwiederholungen, Wahlannullierungen. Endpunkt war Mobutus katastrophaler Versuch in Zaire, mißliebige Ethnien auszubürgern, um sie aus eventuellen Wahlen herauszuhalten – und sie damit, was er übersah, in die bewaffnete Revolte hineinzutreiben.

Die Entzauberung der zivilen Demokratie und die Rehabilitierung des Militärischen ist im Prozeß politischer Liberalisierung unter wirtschaftlichen Krisenbedingungen nur schwer zu vermeiden. Denn Wahlen sind in der Vergangenheit oft Angelegenheit einer Minderheit geblieben, die ihre elitären und korrupten Ansprüche hinter kunstvollen demokratischen Formen verbirgt, wohlweislich aber zu brutaler Gewalt fähig ist, wenn es um den Schutz der eigenen Interessen geht.

Viele afrikanische Metropolen sind heute Schauplatz zunehmender Gewalt zwischen Anhängern konkurrierender politischer Kräfte, die um Wählerstimmen und Wirtschaftspfründen streiten – wie jetzt wieder in Kongo-Brazzaville zu beobachten. Wo die Mehrheit der Bevölkerung für das schiere Überleben vom Wohlwollen reicher Gönner abhängig ist, gerät politischer Pluralismus oft zum Kleinkrieg zwischen Eliten.

Statt dessen entdecken immer mehr Staaten wieder einmal Vorteile in straff geführten Ordnungsregimen. Weite Teile des östlichen und südlichen Afrikas und jetzt eben auch die Demokratische Republik Kongo haben Regierungen, die ihre Legitimation ursprünglich aus den Gewehrläufen herleiteten. Sie nehmen es mit demokratischen Formen nicht so genau, mit dem Wunsch nach Entfaltung der Produktivkräfte aber um so mehr. Daß dabei die Gefahr der erneuten Diktatur besteht, liegt auf der Hand. Aber ein Sieg bewaffneter Rebellengruppen ist heute immer auch ein Sieg sozialer Gruppen, die von den Demokratisierungsprozessen der letzten Jahre ausgeschlossen blieben – vor allem die Jugend.

In manchen Ländern müssen Bewerber zum Präsidentenamt mindestens 40 oder 45 sein. Aber in Sierra Leone beträgt die Lebenserwartung ganze 34 Jahre. 33 Jahre alt ist der Führer der dortigen Militärjunta, Johnny Koroma. Einige seiner Buschkämpfer, die jetzt die Straßen der Hauptstadt Freetown beherrschen, sind nur zwölf oder dreizehn. Ebensojung sind viele der Rebellen, die im Laufe des letzten halben Jahres an die 3.000 Kilometer vom Osten nach Westen von Zaire zurücklegten, um das Mobutu-Regime zu stürzen. Kabilas Außenminister Bizima Karaha ist 29 Jahre alt. Die Hälfte aller Afrikaner ist unter achtzehn. Sie kann nicht ins Wahllokal ziehen, wohl aber in den Krieg.

Aber Sierra Leone mit seinen plündernden und mordenden Kinderbanden zeigt auch, daß der Weg der Waffen zumindest das Potential hat, Afrikas Zukunft noch weiter zu verdüstern. Die straff geführten Ordnungsregime, die von Eritrea über Äthiopien und Uganda bis Kongo jetzt den ökonomischen Wiederaufstieg Afrikas herbeiführen wollen, haben noch nicht unter Beweis gestellt, daß sie auch eine überlegene politische Kultur vertreten. Dennoch ist es nachvollziehbar, wenn verzweifelte afrikanische Demokraten, die nachts vom Buschkrieg träumen, irgendwann auch tagsüber die Vorzüge der Zivilität über den Haufen werfen. In der Finsternis der Diktatur kann fernes Blutvergießen als leuchtende Morgenröte erscheinen. Dominic Johnson

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