: Was noch übrig ist
■ Bilder einer verwaisten Gegenwart: „Juden in der Ukraine“von Rita Ostrowskaja auf der 7. Hammoniale
Das diesjährige Festival der Frauen ist in jeder Hinsicht bewegend: Herrausragende Tanz- und Musikdarbietungen von Künstlerinnen aus aller Welt geben Einblicke in das Leben und Überleben ausgegrenzter Volksgruppen und ihrer Kulturen.
In diesem Kontext ist auch die begleitende Fotoausstellung von Rita Ostrowskaja zu sehen. Die 44jährige renommierte Photographin beschäftigt sich in ihren Arbeiten zu dem Thema Juden in der Ukraine mit der jahrhundertealten jüdischen Siedlungsform, auf Jiddisch „Schtetl“, beziehungsweise mit dem, was davon noch übrig ist. Denn jüdische Kultur, soweit sie sich über den Holocaust hinwegretten konnte, war in der heute unabhängigen Ukraine über Jahrzehnte dem sowjetischen Antisemitismus ausgesetzt. Da die Ukrainerin Ostrowskaja selbst jüdischer Abstammung ist, machte sie sich schon früh auf die Suche nach den eigenen Wurzeln und entdeckte 1991, daß das totgesagte und -geglaubte Judentum in der Ukraine noch sehr lebendig ist. Ihrer begeisterten Entdeckung der jüdischen Ortschaften folgte allerdings eine traurige Erkenntnis: die „Schtetl“verwaisen zunehmend.
Seit Öffnung der Grenzen verlassen die Bewohner ihre Dörfer und Städte, um in den Westen auszuwandern. Ostrowskajas Bilder beklagen diesen Prozeß. Die Photographin fürchtet, daß die „Schtetl“von heute in wenigen Jahren ausgestorben und nur noch leblose Denkmäler sein werden.
Die Ausstellungsfotos über die „Schtetl“-Bewohner sind zwischen 1989 und 1994 entstanden und der zweite Teil einer Trilogie, die die Künstlerin Jüdisches Album nennt. Im ersten Teil setzt sie ihre eigene Verwandtschaft, im letzten die jüdischen Emigranten ins Bild. Die sachlich gehaltenen aber stimmungsvollen Fotos erzeugen im Betrachter überwältigende Gefühle. Das Berührende dieser Kunst ist nicht nur, daß sie in der Gegenwart Vergangenheit spürbar macht. Sie läßt es nicht zu, sich der Anteilnahme und dem Engagement der Künstlerin zu entziehen.
In diesem Sinne trifft die Ausstellung den Tenor des Festivals. Denn ob Ea Sola aus Vietnam oder die Urban Bush Women aus New York City: Künstlerinnen suchen im Heute nach Spuren ihrer Herkunft, um sich und ihrem Kulturkreis eine Zukunft zu verschaffen. Das Festival öffnet dem Zuschauer die Augen für aufregend neue Erfahrungswelten und gibt bedeutenden Künstlerinnen ein Forum, die trotz hoher künstlerischer Qualität in ihrer Heimat oft keine Möglichkeit haben, sich zu präsentieren. Das kulturell-vielfältige Angebot der Hammoniale ist keine wahllose Sammlung exotischer Attraktionen. Das Konzept des Festivals garantiert auf wohltuende Weise, daß die besondere Fremdheit und die Identität des Anderen respektvoll gewahrt bleibt. Kulturelle Sternstunden statt Multi-Kulti-Einheitsbrei. Birgit J. Neumann
bis 28. Juni, Di-So, 18-22 Uhr, k3, Kampnagel
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