: Freiheit ist anstrengend
■ Ein Portrait der Tänzerin Hannele Järvinen / Gastspiel in der Weserburg
Ständig springt sie auf, bewegt sich durch den Raum, gestikuliert, hält inne – und läuft unruhig wieder hin und her. Sprache ist ganz offensichtlich nicht ihr Medium. Hannele Järvinen ist Tänzerin, und das mit Leib und Seele, so daß ein Gespräch mit der 36jährigen Finnin sich nicht selten in eine spontane Tanzimprovisation verwandelt. Und tatsächlich, auf diesem Weg erfährt man mehr von dem, was Hannele Järvinen bewegt, was sie „sagen“, vermitteln möchte.
„Die Emigrantin“heißt ihr aktuelles Solo-Tanz-Stück, das sie von Freitag bis Sonntag im Neuen Museum Weserburg zeigen wird. 1994 hatte es Premiere, im Freien, in einer der letzten Moorlandschaften bei Gnarrenburg. In Bremen spielt sie es nun zum zweiten Mal. Zwei Aufführungen in drei Jahren: Deutlicher kann man nicht machen, welchen existentiellen Nöten man sich aussetzt, wenn man experimentelles modernes Tanztheater macht. „Ich lebe für meine Stücke, nicht von ihnen; mit meinen Soloauftritten verdiene ich kein Geld“, bemerkt sie. Doch birgt dieser fast beiläufig geäußerte Satz die ganze Dramatik ihres Versuches, sich ihre Autonomie als Künstlerin zu bewahren. Denn Hannele Järvinen hat sich bewußt gegen die Sicherheit eines institutionell abgesicherten Tänzerinnenlebens und für die Freiheiten und Risiken entschieden, die das Dasein einer freischaffenden Künstlerin bietet.
Über lange Zeit hatte sie ein festes Engagement als Solotänzerin im Ensemble von Reinhild Hoffmann, die bis 1986 das Tanztheater in Bremen leitete. Anfang der 90er Jahre lockert sie diese Bindung, um Raum für ihre eigenen Ideen und Projekte zu haben. Seither tanzt Järvinen immer wieder am Rande des Abgrunds, zwischen Arbeitslosigkeit und Selbstverwirklichung. „Freiheit“, bemerkt sie lakonisch, „ist anstrengend“.
Und wenn sie mal wieder bei Regen und Kälte im Wald und auf Wiesen übt, weil sie ein Studio nicht bezahlen kann, dann fällt es ihr schon schwer, die Vorzüge ihrer Unabhängigkeit ungetrübt zu preisen. Es liegt nahe, daß sie diesen persönlichen Hintergrund immer wieder zum Inhalt ihrer Soloaufführungen macht. Doch vermeidet sie es tunlichst, sich im bloß Privaten zu ergehen. Die Entpolitisierung der Kunst in Form einer ausschließlichen Beschäftigung mit biographischen Begebenheiten ist ihr ein Greuel.
In „Die Emigrantin“etwa erfährt man viel über Hannele Järvinen, ihr Fremdsein in Deutschland. Doch mehr noch zeigt sie die Entfremdung des Menschen von der Natur, den Verlust der eigenen Geschichtlichkeit und die Einsamkeit des modernen Menschen. „Transformation vom Individuum zum Allgemeinen“nennt sie das, und springt wie selbstverständlich auf die umliegenden Requisiten ihres Stücks: einen Berg von aufgeschichteten Torfstücken.
Und dann tanzt sie leicht und elegant über diesen wackeligen Grund, kniet sich in die staubige Masse, und mit einem Mal füllt sie den ganzen Raum aus. Man ahnt plötzlich, welche Energien in dieser zierlichen Frau stecken. Leben – für Hannele Järvinen der Versuch, auf schwankendem Boden so etwas wie Halt zu finden. Franco Zotta
„Die Emigrantin“vom 13. bis 15. Juni im Neuen Museum Weserburg; heute und morgen um 18 Uhr, am Sonntag um 11.30 Uhr
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