Rumble in the Jungle

■ Neu im Kino: „When We Were Kings“über Muhammad Ali / Auch der Boxer hätte einen Oscar verdient

Welche Helden kann man heute noch ohne Mißtöne besingen? Hymnen auf Heroen werden kaum noch angestimmt, und wenn jetzt Tenöre in Boxarenen vor den Kämpfen Arien schmettern, wirkt diese Mischung aus Pathos und Kommerz nur lächerlich. Aber es gab einmal eine Zeit, als James Brown und B.B.King für Muhammad Ali sangen, und der Dokumentarfilm von Leon Gast über den epochalen Boxkampf zwischen Ali und George Forman ist ein Heldenlied im besten, fast schon vergessenen Sinne des Wortes.

Gast war 1974 ins afrikanische Zaire gefahren, um dort einen Konzertfilm über das musikalische Begleitprogramm des fights zu machen – eine schwarze Antwort auf Woodstock. Die Auftritte von Brown, King, The Crusaders und Miriam Makeba sollten das Ereignis zu einem Zeugnis des wachsenden Selbstbewußtseins der Afroamerikaner werden lassen. Aber als der Kampf wegen einer Verletzung Formans um sechs Wochen verschoben werden mußte, wurden die Verhältnisse schnell chaotisch. Gast filmte eine Unmenge an Material: Die Musiker, die Boxer, die in Kinshasa gestrandeten Journalisten, die gewieften Organisatoren und die Ali zujubelnden Afrikaner. Aber er wußte lange nicht, welche Geschichte er hiermit erzählen wollte. Er hatte nicht einmal genug Geld, um die Aufnahmen entwickeln zu lassen, und so lagen die Filmrollen über 20 Jahre lang herum. Erst die Idee, Muhammad Ali ins Zentrum des Films zu stellen, gab ihm den nötigen Fokus, um die vielen Aufnahmen organisch und sinnvoll zu montieren. Er kaufte noch Archivmaterial dazu, drehte Statements mit Zeitzeugen wie Norman Mailer oder Künstlern wie Spike Lee dazu, und fertig war „When We Were Kings“, mit dem Gast in diesem Jahr den Oscar für den besten Dokumentarfilm gewann.

Wenn jetzt einige Trainingsschläge von Muhammad Ali auf den punching ball so geschickt montiert sind, daß sie genau dem beat der Soulmusik von James Brown entsprechen, dann bringt diese kurze Sequenz den Film genau auf den Punkt. Ali beherrscht den Film tatsächlich wie ein König. Da mag zwar im Hintergrund der Tyrann von Zaire, Mobutu, seine Macht auskosten, indem er etwa einfach allen Journalisten verbietet, während der Verzögerung sein Land zu verlassen. Oder der Promoter Don King mag als Schlitzohr alle anderen abzocken. Gast erzählt auch diese Episoden, genauso wie er den Gegner Georg Forman, der in Zaire engstirnig und mit schon komischer Konsequenz alles falsch macht, so portraitiert, daß man fast Mitleid mit diesem bis dahin als unschlagbar geltenden Buhmann haben muß. Gast analysiert hier sehr klug und erstaunlich unangestrengt, wie sich bei diesem Spektakel Sport, Politik, Kunst und Geschäft miteinander vermengten.

Aber immer wieder kehrt die Kamera von diesen Nebenschauplätzen zum Helden zurück, denn seine Vorstellung ist so charismatisch, unterhaltsam und bewegend, daß ein amerikanischer Kritiker meinte, der Film hätte noch einen zweiten Oscar für Muhammad Ali als den besten Schauspieler verdient. Boxen sehen wir ihn gerade mal ein paar Minuten lang, aber wie er mit den Journalisten umgeht, wie er die Menschen in Zaire für sich einnimmt, wie er für jede Situation aus dem Stegreif genau die richtigen Worte findet: zugleich profund, witzig, poetisch und frech – das ist die große Überraschung des Filmes. Und wenn man einmal während des Kampfes die Angst in den Augen von Muhammad Ali aufblitzen sieht, dann ist dieses Detail die Note, die das Heldenlied von Leon Gast endgültig wahr klingen läßt.

Wilfried Hippen

Schauburg / OmU