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Wer zu spät kommt, für den wird's teurer

■ Erste Streikaktionen im Hamburger Einzelhandel / Arbeitgeber in „Handfesseln“?

Die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) und Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) haben gestern den Arbeitskampf eröffnet: Die Karstadt-Filialen in der Mönckebergstraße und in Wandsbek wurden von den Belegschaften bestreikt. In Wandsbek (80 Prozent Beteiligung) blieb der Betrieb bis 13 Uhr dicht, in der City dagegen legte nur etwa die Hälfte der rund 700 anwesenden Beschäftigten die Arbeit nieder – zu wenig, um die Öffnung des Kaufhauses länger als eine Stunde hinauszögern zu können. Die Tarifverhandlungen im Hamburger Einzelhandel waren am vergangenen Freitag gescheitert.

„Die Streikkassen sind voll, unsere Mitarbeiter hochmotiviert; wenn sich nicht bald etwas tut, werden wir weiterstreiken“, sagte der Karstadt-Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Holzapfel (HBV) der taz. „Unter 120 Mark mehr monatlich ist mit uns nichts mehr zu machen“, zeigte sich Holzapfel vom Scheitern der Verhandlungen, von denen „alle einen Abschluß um die 110 Mark erwartet hatten“, enttäuscht. Auch DAG-Pressesprecher Jörg-Dieter Bischke-Pergande ließ gestern gegenüber der taz durchblicken, daß nunmehr ein höherer Abschluß anvisiert wird: „Wenn man nicht zur richtigen Zeit das Richtige tut, wird's teurer“.

Die Weigerung der Arbeitgeber, ein verbessertes Angebot vorzulegen, erklärt Dr. Jürgen Schulz, einer der Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes, sibyllinisch mit „der bundesweiten Koordinierung der Verfahrensweise, die manchmal ein Problem“ darstelle. Der Hamburger Delegation seien „gewisse Handfesseln“ angelegt.

Die Beschaffenheit jener „Handfesseln“ glaubt HBV-Sprecher Lutz Eilrich indes genau zu kennen: Die HBV-Forderung, statt der üblichen prozentualen Lohnanhebung anno 1995 einen Festbetrag zu vereinbaren ( „um die unteren Lohngruppen besser zu bedienen“), bereite dem Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) Kummer. Aus diesem Grund habe er die Hamburger Delegation, die für diese Innovation bereits „Zustimmung signalisiert“ habe, „zurückgepfiffen“.

Das Ausbleiben des erhofften Verhandlungserfolges sorgt indes nicht nur bei Karstadt für Unmut. Bei „real“ in Lurup sprachen sich bei der Urabstimmung am Dienstag 98,1 Prozent der Belegschaft für „Kampfmaßnahmen“ aus, wie die Betriebsratsvorsitzende Monika Harms gegenüber der taz vermeldete. Die enorm hohe Zustimmung resultiere aus der Tatsache, daß die „Arbeitsbedingungen immer schlechter“ würden. Angesichts des seit dem 1. Januar eingeführten Solidaritätszuschlages von ca. 70 Mark sowie der drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten seien „100 Mark mehr, wie das die Arbeitgeber vorschlagen, einfach zu wenig“. Ein Verkäufer, der „nach dem sechsten Berufsjahr derzeit 3060 Mark brutto“ verdiene, könne „schlicht und einfach keine Familie mehr ernähren“. Hinzu käme, daß sich „zum Beispiel durch die Einführung des langen Donnerstages“ die Belastung des Personals „in den letzten Jahren ständig vergrößert“ habe: „99 Prozent aller Kassiererinnen klagen über chronische Rückenschmerzen, der Job ist als Vollzeitkraft nicht mehr zu bewältigen“.

Auch heute sollen die Streikaktionen fortgesetzt werden.

Christoph Ruf

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