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Stippvisite in Castor-Land

Wenn das Deutsche Atomforum mit JournalistInnen in Gorleben unterwegs ist, bleiben KritikerInnen ausgesperrt. Mit dabei war  ■ Marco Carini

Der Streifen hat Hollywood-Qualität. Mit voller Wucht rammt der ferngesteuerte, auf 160 Stundenkilometer beschleunigte Personenzug einen querstehenden Stahlbehälter. Eisenteile fliegen durch die Luft, der Zug entgleist, die Lok verwandelt sich in plattgepreßten Schrott. Aber das Hindernis bleibt – von einigen oberflächlichen Beulen abgesehen – formschön erhalten.

Dann feuern Spezialkanonen ihre Ladung auf den stählernen Behälter.Sie sollen die Wucht eines abstürzenden Kampfjets besitzen. Wieder bleibt der metallene Riese – von ein paar verbogenen Kühlrippen abgesehen – unversehrt. Hätte er Herz, Blut und eine menschliche Hülle, würde er sich – dramaturgisch zwingend – den Staub von der Weste klopfen, die Haare aus der Stirn streichen und die trockene Kehle in der nächsten Bar mit einem doppelten Whiskey spülen.

Doch „Super-Castor“muß noch weitere Stunts bestehen. Aus 832 Metern wird er vom Himmel in die Tiefe gestürzt, 200 Meter unter den Meeresspiegel versenkt und bei 1.200 Grad im lodernden Feuer eine halbe Stunde lang gegrillt. Nach jedem der Crash-Tests, die unser Held stets klaglos übersteht, verkündet eine Stimme aus dem Off die frohe Botschaft: „Aber der Castor hält.“

„Sicherheit auf jeden Fall“heißt der Action-Thriller, und er ist Aufklärung nach Art des Hauses. Das Deutsche Atomforum, Lobbyvereinigung aller AKW-Betreiber der Republik, hat nach Gorleben geladen, um die Vorzüge der Energieform zu preisen, die Atom-Kerne und die gesamte Region spaltet.

Die versammelten JournalistInnen, die anderthalb Tage lang durch das Zwischenlager, die benachbarte Pilotkonditionierungsanlage und das Erkundungsgelände für den Salzstock – der später einmal Atommülls letzte Ruhestätte werden soll – gescheucht werden, lernen die drei zentralen Atom-Gebote: 1: Atomenergie ist ungefährlich. 2: Trotz aller Proteste gehen die Arbeiten in Gorleben zügig voran. 3: Die Anti-Atom-Bewegung ist irrational, verlogen und arbeitsscheu.

Und präsent. Die AtomgegnerInnen aus Lüchow-Dannenberg haben von der JournalistInnenreise erfahren und lauern dem Troß – wo immer möglich – auf, um ihre Sichtweise per Transparent und Flugblatt der schreibenden Zunft zu unterbreiten. Ein aufgeregter, rotgesichtiger Pressechef des Atomforums versucht, jeden Kontakt zwischen Presse und ProtestlerInnen zu unterbinden.

Am Abend – ein Plauderstündchen mit „Kommunalpolitikern“steht auf der offiziellen Tagesordnung – muß sich die JournalistInnenrunde im Gartower Hotel Seeblick durch ein Spalier von ungebetenen Gästen, die alle behaupten, die „wahren KommunalpolitikerInnen“zu sein, in den Speisesaal kämpfen. Landrat Christian Zühlke (SPD), sein grüner Stellvertreter Kurt Herzog, die Mitbegründerin der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Marianne Fritzen, sowie zwei Dutzend Landkreis-PolitikerInnen sind erschienen, um den Dialog einzuklagen.

Doch die Herren der Atomindustrie sperren die ungebetenen Besucher aus. „Wir machen diese Pro-Contra-Diskussionen nicht mehr mit“, gibt Reinhard König, Chef der Brennelementelager Gorleben GmbH (BLG), hinter verschlossenen Türen zu Protokoll. Hinter den vom Atomforum zum Gespräch geladenen „Kommunalpolitikern“verbirgt sich deshalb auch nur ein einziger, etwas angejahrter Verfechter des „Entsorgungsstandortes“– der Gorlebener Bürgermeister Herbert Krüger (CDU).

Der preist den Geldsegen, der durch die von der Atomindustrie zu zahlenden Gewerbesteuern und Infrastrukturhilfen über die Region gekommen ist. Der rot-grünen Landkreiskoalition wirft Krüger „Unredlichkeit“vor, da sie das Zwischenlager verdamme, sich aber seiner Gelder bediene. Als der grüne Vize-Landrat Kurt Herzog die traute Runde stört, um noch einmal zum Gespräch mit den Zwischenlager-GegnerInnen aufzufordern, platzt BLG-Chef König endgültig der Kragen. „Der hat doch noch nie in seinem Leben gearbeitet“, warnt er den JournalistInnen-Troß vor einer Kontaktaufnahme.

Im Zwischenlager ist man dann wieder unter sich. Hier schützen die meterhohen natodraht-verzierten Zäune, zahllose Sicherheitsschleusen und das Wachpersonal vor unerwünschtem Besuch. Am äußersten Ende der 182 Meter langen neonbeleuchteten Beton-Halle stehen die acht rund sechs Meter hohen stählernen Ungetüme – deren Transport die halbe Region auf die Beine gebracht hat – etwas verloren herum. Die übrigen 412 Stellplätze sind unbesetzt.

Vier Geigerzähler zeigen an, daß sich die radioaktive Strahlung in der 7.000 Quadratmeter großen Lagerhalle „genauso hoch ist wie zu dem Zeitpunkt, als die Behälter noch nicht hier waren“, so interpretiert BLG-Sprecher Jürgen Auer die für den Laien unverständlichen Meßwerte. Nur die Neutronenstrahlung, so erfährt die Presse erst auf Nachfrage, habe sich seitdem verzehnfacht. Doch auch dieser Anstieg sei „völlig ungefährlich“.

Während Castors vorletzte Ruhestätte – etwa 30 bis 40 Jahre sollen die energiegeladenen Müllbehälter im Zwischenlager verweilen – auch atmosphärisch einem Friedhof gleicht, herrscht in der benachbarten „Pilotkonditionierungsanlage“(PKA) Hochbetrieb. Die durch meterdicke Stahlbetonmauern von der Umwelt abgeschirmte Anlage, in der Atommüll von den Transportcontainern in Endlager-Behälter umgepackt werden soll, ist noch eine Baustelle. Ende des Jahres soll sie fertiggestellt sein.

In der sogenannten „heißen Zelle“sollen dann bis zu 4,75 Meter lange ferngesteuerte Greifarme den Atommüll zerlegen und weiterbehandeln. 1,30 Meter dicke, strahlungsabschirmende Spezialfenster – das Stück zum Preis von 360.000 Mark – werden speziell ausgebildeten Fachleuten den Blick in die „heiße Zelle“freigeben, damit sie die „Kraftmanipulatoren“genannten Greifarme millimetergenau bedienen können.

Ob der neu verpackte hochradioaktive Atommüll dann in dem riesigen Salzstock, der sich unter der gesamten Region befindet, seine ewige Ruhe findet, ist noch unklar. Bis zum Jahr 2005 sollen großflächige Probebohrungen rund 840 Meter unter der Erde Antwort auf die Frage geben, ob der strahlende Abfall hier für immer sicher verwahrt werden kann.

Der Sprecher des Erkundungsbergwerkes Gorleben, Rolf Meyer, gibt sich optimistisch. Der Mann, der mit seinem wallenden schlohweißen Haar und dem kleinen Schnauzbärtchen wie eine Kreuzung zwischen Albert Einstein und dem Hobbythek-Moderator Jean Pütz ausschaut, betont, daß es bislang „noch keine Erkun-dungsergebnisse“gebe, die „gegen eine Endlagerung“sprächen.

Allerdings, so muß Meyer einräumen, seien noch nicht einmal „fünf Prozent“der Bohrungen angestellt worden, mit denen herausgefunden werden soll, ob „genügend mächtige, homogene Steinsalzvorkommen“tief in der Erde schlummern. Obwohl schon 1,76 Milliarden Mark in die Erkundung des Salzstockes geflossen sind, hat „Schacht 1“nicht einmal die „Endtiefe“von 840 Metern erreicht – zwei Monate soll das noch dauern.

15 bis 20 Kilometer Bergwerksstollen sollen in den kommenden Jahren in den Salzstock gesprengt und von riesigen Bulldozern, für die es in dem Schachtsystem sogar eine unterirdische Reparaturwerkstatt gibt, befahren werden. Geht alles glatt, freut sich Meyer, könnte das Endlager im Jahr 2011 betriebsbereit sein.

Die endgültige Entscheidung über die Zukunft des Salzstockes wird das Bundesamt für Strahlenschutz treffen. Doch dessen extra angereister Sprecher Alfred Jansen flüstert den Gästen des Atomfo-rums schon mal ins Ohr, mit welchem Ergebnis sie rechnen können: „Wir gehen davon aus, daß wir Bereiche für die Endlagerung finden.“

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