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Auf dem Radweg, aus dem Sinn

Velos sind auf der Straße oft besser aufgehoben als auf Radwegen, wo sie schlecht gesehen werden. Fahren in die falsche Richtung und Einfädeln in den Verkehr sind besonders unfallträchtig  ■ Von Kathrin Voß

Manfred M. hat seine Lektion gelernt: Zwei Fahrradunfälle hat der ehemalige Fahrradkurier bereits hinter sich, jedesmal wurde er auf dem Fahrradweg von abbiegenden Autos übersehen. Für ihn steht fest: Auf der Straße fahren ist sicherer. Bis jetzt ist das Fahren auf der Straße allerdings verboten, wenn ein Fahrradweg vorhanden ist. So will es die Straßenverkehrsordnung, zum Leidwesen vieler Fahrradfahrer. Vor allem Viel- und Schnellfahrer empfinden Fahrradwege mehr als Last denn als Erleichterung. Benno Koch vom ADFC Berlin: „Das Sichtfeld des Autofahrers hört an der Bordsteinkante auf. Das ist gefährlich. Fahrräder gehören auf die Straße, damit sie gesehen werden.“ Optimal sind für ihn markierte Fahrradspuren neben dem Autoverkehr. Damit würde dann auch die beliebte Radlersitte, das „auf dem Fahrradweg in falscher Richtung fahren“, ein Ende finden.

Das Fahren auf der falschen Fahrbahn ist zur Zeit die Hauptunfallursache für Fahrradunfälle in Berlin. Bis zum 30. April diesen Jahres kam es dadurch zu 220 Unfällen. An zweiter Stelle der Ursachenstatistik steht nach Angaben des Pressesprechers der Polizei, Detlef Kayser, „die Einfädelung von Fahrradfahrern in den Fließverkehr“. Mit anderen Worten: Es kommt besonders häufig dann zu Unfällen, wenn Fahrradfahrer von Radwegen auf die Straße wechseln müssen. Fahrradwege sind also keineswegs ein Hort der Sicherheit. Das sichere Fahren auf der Strecke wird vielmehr durch eine erheblich höhere Gefährdung an Kreuzungs- und Einfädelungspunkten erkauft.

Mit Inkrafttreten der neuen Straßenverkehrsordnung könnte sich einiges ändern, denn sie schränkt die Benutzungspflicht für Radwege erheblich ein. Diese wird nur noch dann zwingend sein, wenn die Fahrradwege gewisse Mindesstandards erfüllen. Dazu gehören unter anderem eine Mindestbreite von 1 Meter 60 und eine eindeutige Beschilderung. Benno Koch schätzt, daß die neue Straßenverkehrsordnung in Berlin de facto zu einer Aufhebung der Benutzungspflicht für Radwege führen wird, da nur die wenigsten diese Voraussetzungen erfüllen. Darüber hinaus wird die Novelle weitere Verbesserungen bringen: Alle Einbahnstraßen sollen versuchsweise für Fahrradfahrer in beide Richtungen geöffnet werden, und das Höchstalter für das Fahrradfahren auf Gehwegen wird von acht auf zehn Jahre heraufgesetzt. Außerdem wird zum ersten Mal die Einrichtung von Fahrradstraßen geregelt.

Bei etwas gutem Willen hätte man zwar in Berlin auch auf Grundlage der alten Regelung mehr Einbahnstraßen für Radfahrer beidseitig auszeichnen und sogenannte „Fahrradstraßen“ einrichten können. In anderen Städten, wie etwa Bremen, ist dies ja auch in größerem Umfang möglich gewesen. Ein großer Vorteil der Novelle ist, daß sie die Situation bundesweit verbessert. Mit anderen Worten: Fahrradfahrer sind jetzt weniger abhängig vom guten Willen ihrer jeweiligen Stadtväter. Dies gilt natürlich besonders für Berlin: Die Umsetzung des Veloroutenkonzepts, das in der ersten Phase nur die Ausschilderung von Fahrradstrecken beinhaltet, und die fahrradfreundliche Gestaltung des Kreisverkehrs am Großen Stern sind nur einige der Forderungen, mit denen der ADFC bei der Senatsverwaltung auf Granit beißt. „Von ihrem erklärten Ziel, nämlich die Verdoppelung des Fahrradanteils am Straßenverkehr von 6 auf 12 Prozent, entfernt sich die Senatsverwaltung immer weiter“, so der ADFC-Pressesprecher, Benno Koch. Zum Vergleich: In Holland beträgt dieser Anteil 27 Prozent und soll noch gesteigert werden.

Immerhin ist für die Sicherheit einiges geschehen: Gefährliche Kreuzungen sind durch eigene Fahrradampeln entschärft worden, auch auf die Einhaltung des vorgeschriebenen Sichtwinkels an Kreuzungen, für Fahrradfahrer extrem wichtig, wird von der Polizei verstärkt geachtet. Sichtbar wird dies in der Unfallstatistik der Polizei, die trotz einer Zunahme des Fahrradverkehrs rückläufig ist. Kam es im Jahr 1995 noch zu rund 4.200 Unfällen, so waren es in 1996 nur noch rund 3.900 Unfälle. Auch die Zahl der tödlichen Unfälle hat sich etwas verringert: In 1995 kamen in Berlin achtzehn, in 1996 sechzehn Menschen bei einem Fahrradunfall ums Leben.

Bleibt zu hoffen, daß diese Zahl mit der neuen Straßenverkehrsordnung weiter zurückgehen wird. Geplant ist die Verabschiedung durch den Bundesrat noch vor der Sommerpause, mit der Umsetzung wird voraussichtlich im Herbst begonnen werden. Wenn die Novelle dann in Kraft tritt, wird Manfred M. öfter auf der Straße fahren dürfen. Und wenn sich alle Fahrradfahrer in Berlin so richtig auf der Straße breitmachen, könnte es eng für die Autofahrer werden.

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