: Reueloses Amüsieren unter der Roten Fahne
■ Die interessanten Projekte attackierter Floristen: „HXA“agieren in der Roten Flora
Um die Rote Flora will es einfach nicht ruhig werden. Zwar ist es nicht mehr notwendig, am frühen Morgen mit dicken Fausthandschuhen und gepoltsterten Schienbeinen den Räumungskommandos aufzulauern. Doch der Kampf um die Flora ist nicht beendet. Jetzt gibt es andere, nicht minder brisante Konfliktpunkte. Darf die Flora immer noch mit dem hübschen Beiwort „rot“sich schmücken? Schon wurde die schwarzrote Fahne vom Dach entwendet. Das zugehörige Bekenntnisschreiben behauptete, daß die Flora durch ihre ganzen Techno- und Soundsystem-Parties zum „Kosumschuppen“und daher der roten Fahne unwürdig geworden sei.
Dabei bringen die als „Spaßfraktion“Attackierten ganz interessante Projekte zustande. Nächsten Donnerstag präsentiert sich zum erstenmal der „Edutainment-Club“, angesiedelt „irgendwo im Grenzbereich traditioneller autonomer Politik und Subkultur“. Und schon heute wird das Messpunkt-Kollektiv zum Auftakt einer Konzertreihe das russische New Art Ensemble (kyrillisch: HXA) vorstellen.
Das HXA ist in internationalen Kunstlärm- und Musiktheater-Kreisen bekannt als „Orchester der städtischen Irren“. Ein Ruf, den es sich vor allem durch sein großes Musikspektakel The Portable Orchester of Major Brown erworben hat. Mit diesem Stück, dessen Plot nachzuerzählen völlig sinnlos wäre, absolviert das HXN gerade eine mehrwöchige Europatournee. Österreich, Schweiz, Frankreich, Tschechei, Hamburg. Allgemein bejubelt wird HXN vor allem für die ganz eigene Art, mit der sie sich durch den Dschungel der Zitatenwelt schleichen und dabei Musik und Darstellung zu immer nur als Zwischenstationen dienenden kleinen Szenerien verschränken.
Für HXA sind genau die Zwischenräume, die Orte der Verschiebung zwischen einzelnen Splittern, der Raum der Kunst. So lassen sie die Titelmelodie der beliebten russischen Krimiserie Unser Dienst ist hart und gefährlich in das rhythmische Knacken einer Metallfeder auslaufen. In das Knacken hinein kommt der Orchesterleiter auf einem dieser Kinderspielzeuge gesprungen und springt und springt, bis er vor Erschöpfung zusammenbricht. So er dann am Boden liegt, versammeln sich vier Musiker um ihn und stimmen ihre Blasinstrumente auf Trauermarsch. Der Orchesterleiter, nicht faul, rappelt sich auf, schnappt sich eine Tuba und stimmt in den verfremdeten „Psychic TV“-Song ein. Es entsteht ein Begräbnis ohne Leiche.
Mit der Affirmation des Bestehenden und der sich anschließenden temporären Unterwanderung ähnelt HXAs Konzept in erstaunlicher Weise dem Konzept der momentan in linken Kreisen so heiß diskutierten „Kommunikationsguerilla“. Damit ist ihr Auftreten in der Roten Flora voll gerechtfertigt. Die Fahne ist wieder zurückzufordern, und alle dürfen sich guten Gewissens amüsieren.
Matthias Anton
heute, 20 Uhr, Rote Flora
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