: Das Ende der Gemeinsamkeiten
Serbiens Opposition ist tief gespalten. Ein Flügel versucht, den Nationalismus von Milošević noch zu überbieten, der andere will mit sozialistischen Reformern ein Bündnis eingehen ■ Von Karl Gersuny
Wien (taz) – Wer erinnert sich nicht noch an die Wintermonate, als Abend für Abend Zehntausende durch Belgrads Straßen zogen, die die Anerkennung des Wahlerfolgs der serbischen Opposition bei den Gemeinderatswahlen und den Sturz von Präsident Slobodan Milošević forderten. 88 Tage dauerte das Protesthappening unter der Führung des Bündnisses Zajedno (Gemeinsamkeit), dann überließ das Regime zumindest in den großen Städten die Rathäuser dem politischen Gegner. Doch nur drei Monate später droht erneut die Machtübernahme durch das sozialistische Regime.
In mehreren Städten Restjugoslawiens gelang es den Sozialisten, das Mehrparteienbündnis Zajedno zu spalten und Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen, so daß sie in den Gemeinderäten wieder die Mehrheit stellen. Das Ausmaß dieser Kungeleien wurde gestern von der unabhängigen Presse Belgrads aufgedeckt. Nach einer Analyse der oppositionellen Tageszeitung Nasa Borba ist „es mit Zajedno für immer vorbei, gescheitert an der Machtbesessenheit seiner Führer Zoran Djindjić und Vuk Drasković“. Die Zeitungen Blic und Telegraf polemisierten, das Regime habe erreicht, was es wollte: Milošević könne sich im allgemeinen Oppositionschaos als Mann der Mitte präsentieren, der als einziger die extremen Nationalisten in Schach halten könne.
Dies ist eine Anspielung auf Drasković, Parteivorsitzender der größten Oppositionsgruppe, der Serbischen Erneuerungsbewegung, die immer unverhohlener für die Idee eines Großserbien eintritt und dem Milošević-Regime „Kapitulation vor Muslimen und Kroaten“ vorwirft. Damit will Drasković sich von seinem Rivalen Djindjić, dem neuen Oberbürgermeister Belgrads, abgrenzen. Dessen Demokratische Partei wurde in den letzten Monaten immer populärer, obwohl oder gerade weil sie sich für ein „Bündnis mit reformfreudigen Kräften in der Sozialistischen Partei“ stark machte. Djindjić vertritt jetzt die Meinung, die „reformfreudigen Kräfte“ kämen nicht zum Zuge, weil die Führungsclique um Milošević „korrupt und despotisch“ regiere. Die Taktik müsse sein, Milošević sanft zu entmachten und die Sozialistische Partei in eine sozialdemokratische zu verwandeln.
Wie nun bekannt wurde, gab es in den vergangenen Monaten Dutzende Treffen zwischen Demokraten und Sozialisten. Dies nimmt Drasković zum Anlaß, seinen ehemaligen Mitstreiter einen Verräter zu schimpfen, der einen teuflischen Handel eingegangen sei: Djindjić lasse sich von Milošević als Vor„zeigedemokrat einspannen. Als Lohn dafür werde er demnächst ein hohes Staatsamt erhalten, vielleicht sogar den Posten des serbischen Premierministers.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen