: Ein Königreich für eine Anstecknadel
Unter all den Hüten gibt es nur eine Frage: Welche Farbe trägt Her Royal Highness heute? Jetzt weilen die Royals in Wimbledon. Wir waren beim Rennen in Ascot dabei. Einige Beobachtungen ohne Fernglas ■ Von Deike Diening
Ascot? Do you know Ascot? Pferderennen – exactly. Alles very british – genau. Champagnertränke der Gesellschaft, ultimativer Renngenuß, Spielwiese moderner Dandies und die Reifeprüfung für angehende Hochstapler: Ascot is a must.
Aber Ascot ist nicht gleich Ascot. Eine dezente Nadel am Revers entscheidet über gesellschaftliches Sein oder Nichtsein. Denn die Tribüne ist eingeteilt in die billigen Plätze des Silver Ring rechts außen, den Grandstand in der Mitte des Zieleinlaufs und – die königliche Loge. Sie ist der einzige Platz, von dem aus man die Zielgerade standesgemäß übersehen kann und einen unverstellten Blick auf die Queen genießt. Die Einladung hierher ist ein Vergnügen „not to be had for money“. Wer in der „Royal Enclosure“ sein Fernglas aufs Renngeschehen richtet, tut dies im Bewußtsein, Gast der Queen zu sein – by invitation only!
Das Prozedere um Karten beginnt schon im Januar, wenn Her Majesty's Representative eine offizielle Bekanntmachung in der Times und im Daily Telegraph veröffentlicht. Die Briten richten dann ihre formelle Anfrage an das Ascot Office des St Jame's Palace, bitten dort um die Ehre der Einladung. Sogar Joan Collins mußte sich Jahre um die Zulassung bemühen. Allerdings: Ein kleines Kontingent Karten wird von der Deutschen Botschaft in London vergeben.
Nach drei Jahren studentenermäßigtem Stehplatz in Hoppegarten war die Zeit nun reif für ein Rennen der anderen Art: Und was wie ein Scherz beginnt, wird plötzlich Ernst, als tatsächlich auf die Bewerbung die Zusage folgt, ganze zwei Wochen vor Rennbeginn. Das Begleitschreiben allerdings besiegelt meine hoffnungslose Verschuldung – der Dresscode: „Der Repräsentant Ihrer Majestät wünscht deutlich zu machen, daß nur formelle Tagesgarderobe mit einem Hut, der den Scheitel bedeckt, akzeptiert wird ... Die Herren werden daran erinnert, daß nur ein schwarzer oder grauer Cut mit Zylinder getragen werden soll.“
Englische Freunde geben noch den guten Tip, daß man ohne passende Handschuhe, ohne Fernglas und Whiskyflachman gnadenlos als Greenhorn heraussteche. Für vier Tage Pferderennen braucht man diese ganze Kostümierung in vierfacher Ausfertigung: zweimal im selben Hut gesehen zu werden – da bleibt man besser gleich zu Hause. Und: Der Donnerstag ist Ladies' Day, für diesen Tag spart ganz London das extravaganteste Outfit auf – das verlangt nach einem modischen Statement!
Ach, nie war Frausein schwerer! Gründlich werden die Kleiderschränke der Freundinnen nach Brauchbarem durchforstet. Immer noch fehlt vieles. Also Hardcore shopping! Die Hüte zuerst: An der ersten Adresse finde ich ein Wagenrad zu Ascot-Konditionen. Tage verbringe ich in Umkleidekabinen und lasse mich schließlich dazu verleiten, das eine Kleid für den einen Anlaß zu kaufen. Für meinen Begleiter sind mit einem halbstündigen Termin beim Kostümverleih alle Schwierigkeiten beseitigt. Die letzte Investition vor dem Rollentausch in eine andere Welt: Christopher Webber's „Bluff your way at the races“ mit überlebenswichtigen Tips für Newcomer. Lektüre für den Flug.
Und dann hinein ins Epizentrum der englischen Klassengesellschaft: Die Kostümierung, die in der Londoner U-Bahn gerade noch etwas absurd wirkte, wird plötzlich selbstverständlich. Von der Studentin zur Journalistin, Fashion Victim und Hochstaplerin.
Aus der Journalistengruppe, die auf dem Weg zur Royal Box Prominente belagert, löst sich die Fashion-Reporterin des Daily Telegraph und strahlt mich an: „Oh, I love your dress. Who is it by? Would you mind standing for a picture?“ – „And who designed your hat?“ Sie macht ihre Fotos, und ich verrate nicht, daß mein heutiger Hut von Wertheim ist. So einfach ist, prominent zu sein.
Ihre Majestät kommt auch. Und zwar täglich. In einer Prozession von vier Droschken fährt 20 Minuten vor Eröffnung der Rennen die königliche Familie vor – dann lupfen die Herren in geeintem Respekt ihre Zylinder, und die Damen applaudieren. Mein Begleiter ist von diesem Prozedere so beeindruckt, daß sein Zylinder erst grüßt, als die Queen längst vorbei ist. Nur eine Frage wird jetzt unter all den verschiedenen Hüten gestellt: Welche Farbe trägt Her Royal Highness?
In Pink bezieht sie heute ihren Platz in der Royal Box, einer abgeteilten Loge in der Mitte der Royal Enclosure. Deren vordere Glaswand verschwindet im Boden, sobald die Familie eingetroffen ist. Nur noch ein Ring violetter Hortensien trennt die Royals jetzt vom Rest der Welt, und mit dem passenden violetten Hutschmuck sieht Queen Mum aus, wie vom Gärtner dort hingepflanzt. Um sich Pferde und Sieger anzusehen, gehen auch Royals durch die Menge. Und mit eben dieser Selbstverständlichkeit, mit der man hier alles Exzentrische zu nehmen weiß, wird auch die Anwesenheit der Queen hingenommen. Nur selten sieht man indiskrete Fernrohre in die falsche Richtung gelenkt – in die Royal Box.
In Queen's English werden derweil die Hüte der vorbeiziehenden Damen kommentiert: „Oh, I would call that the most extraordinary hat“ – „I dare say it is the most awful hat around!“ Einige geplatzte Äderchen erzählen von Jahren der Freundschaft mit bestem schottischem Whisky, und bei den Damen erregt die auffallende Proportionalität von Alter und Schmuckbehang Aufmerksamkeit.
Den Neugierigen verraten die Namensschilder die Titel der Anwesenden – und endlich eine Antwort auf die alte Frage: Worauf schauen Männer zuerst? Zumindest diese hier meinen ihre diskreten Blicke in Brusthöhe nicht anzüglich. Hier gelten sie weder den säuberlich aufbereiteten Dekolletes der über 50jährigen noch den Knopflochnelken der Herren. Sie gelten den Namensschildchen, die im Idealfall einen Rang benennen, bei den Männern jedoch mindestens die Achtungsbezeichnung „Esquire“ hinter dem Namen haben sollten.
Ich blicke wissend in die Rennzeitung und halte eine Augenbraue kritisch gelupft. Außer meiner Begleitung weiß hier niemand, daß ich mein Kleid mit Bierzapfen verdient habe. Überhaupt mein Begleiter: Der bewegt sich plötzlich, als würde er nie etwas anderes als Frack und Zylinder tragen. Die allgemeine Haltung geht nur bei Begrüßungen gelegentlich verloren. Denn wie soll man sich zwei Küßchen auf die Wange zielen, wenn der Hut einen Radius von 80 Zentimetern hat? Hut festhalten, Kopf um 90 Grad neigen, damit die Krempen nicht aneinanderstoßen und mit Glück und gespitzten Lippen das Kinn des Gegenübers erwischen.
Wer gerade niemanden zu begrüßen hat, der geht wetten. Die unabhängigen Buchmacher sind aus der königlichen Loge verbannt, doch sie hängen und handeln über den Zaun, der den Rasen zum Grandstand begrenzt. Dort machen sie auf einem Quadratmeter mehr Umsatz als ein Supermarkt in einem Jahr im Kassenbereich.
Wenn sich dann auf der Zielgeraden die Wettmillionen in Pferdelängen übersetzen, gerät auch blaues Blut in Wallung. Damen zerren an ihren Juwelen, sorgsam plazierte Monokel machen sich selbständig, und ein eben noch unterkühlter Gentleman flüstert fiebrig Pferdenamen über meine Schulter. Queen Victoria hat hier einmal vor lauter Aufregung die Scheibe ihrer Loge zerstört – dagegen sieht Ihre Majestät heute richtig zahm aus.
Um das alles auszuhalten, gießt man sich reichlich Pimm's hinter die dekorierte Binde und legt Wert auf seine Aussprache. Alle, die keinen Platz in einer der Bars ergattern konnten, setzen sich auf ein Mäuerchen, stabilisieren den Champagnerkübel sicher zwischen den Füßen und zelebrieren das Fin de siècle aus Plastikbechern. Nie klang Englisch süffiger!
So wichtig wie das Rennen und die Wetten ist die Einladung zum richtigen Lunchdate: Hat man nicht vorher Plätze in einer der Luncheonbars reserviert, führt kein Weg an einem Carpark Picnic vorbei.
„The place to be“ ist Carpark Number one. Auf der gut gemähten Wiese einen Parkplatz zu ergattern, kommt einer Weihung gleich. Aus dem familieneigenen Bentley werden Decken oder sogar Möbel entladen. Wir verpassen zwei Rennen, um über die Parkplätze zu streifen und uns Picknicks anzusehen.
Picknicks im besten englischen Stil: Da stehen unter bewölktem Himmel silberne Kandelaber auf damastenen Tischdecken, und serviert wird vor reichlich PS. Sie schaffen es, aus profanen Dingen ein Kultobjekt zu machen, diese Engländer: dem Rasen in Cambridge, den nur Professoren betreten dürfen, Liam Gallagher oder eben dem Parkplatz vor der Rennbahn in Ascot.
Her Royal Highness erwartet nach dem letzten Rennen eine Flotte von herausgeputzten Rolls – und wir gehen am Abend auf den nächstgelegenen Kinderspielplatz. Als ich meinen Begleiter mit fliegenden Frackschößen und gezogenem Zylinder in Echtzeit die Rutsche heruntersausen sehe, bin ich wieder im Leben Nummer eins angekommen. In diesem Leben geht der Frack zurück an den Kostümverleih und ein Blumenstrauß an meine Hutmacherin.
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