Die Angst vor dem Orchester

■ In einem europaweit einzigartigen Forum hilft das Bremer Staatsorchester vier DirigierstudentInnen auf die Sprünge

Erfahren haben wir's über private Buschtrommeln, denn offensichtlich hat sich keiner der hochkarätigen Veranstalter für die Pressearbeit zuständig gefühlt: Der Deutsche Musikrat, die Philharmonische Gesellschaft, das Bremer Theater und Radio Bremen zeichnen gemeinsam verantwortlich für die einwöchige Probenarbeit von vier DirigierstudentInnen mit dem Philharmonischen Staatsorchester, die heute abend mit einem Konzert im Sendesaal von Radio Bremen ihren krönenden und öffentlichen Abschluß findet. Gabriel Feltz aus Lübeck, Matthias Foremny aus Detmold, Michael Schmidtsdorff aus Hamburg und Maria Makraki aus Berlin sitzen, sorgfältig die Kollegen mit Partituren beobachtend, im Sendesaal. Dort dirigieren sie unter der wachsamen Aufsicht des Generalmusikdirektors Günter Neuhold, der in diesem Jahr die Werkstatt des Dirigentenforums leitet.

„Dieses Forum ist einzigartig in Europa“, meint Gabriel Feltz, der schon im ersten Engagement in Lübeck ist und in der nächsten Spielzeit als zweiter Kapellmeister nach Bremen kommt. Und der Geschäftsführer Klaus Harnisch ist heute noch erstaunt, daß das seit 1991 existierende Forum ein so großer Erfolg geworden ist. „Viele sind nach dem Durchlaufen des Förderprogrammes an entscheidenden Positionen“. 50 bis 60 bewerben sich jährlich, dürfen die Nürnberger Sinfoniker und das Göttinger Sinfonieorchester dirigieren. Eine Jury entscheidet, welche vier am Ende in die sogenannten „Werkstätten“der großen Sinfonieorchester und namhafter Dirigenten kommen, in denen nach einer Probenwoche zwei für die Leitung eines Konzertes ausgewählt werden. Darüber hinaus gibt es als Höhepunkt der Förderung den von der Jürgen-Ponto-Stiftung gebildeten Preis von 15.000 Mark. Das Dirigentenforum trägt der Situation Rechnung, daß Dirigieren von allen Voraussetzungen her etwas ganz anderes ist als ein Instrument zu studieren.

Denn „wenn's hoch kommt, dürfen Dirigierstudenten zweimal pro Semester mit ihrem Instrument, dem Orchester, zusammenkommen“, sagt der 24jährige Matthias Foremny, der entscheidende Impulse von seinem Trompetenlehrer bekam. „Um dieses Defizit auszugleichen, muß man sich schon eine Menge einfallen lassen, zum Beispiel das Dirigieren von qualifizierten Laienorchestern“, ist die Erfahrung von Gabriel Feltz, der schon als Siebenjähriger wußte, daß er Dirigent werden wollte. Eine solche Ausbildungssituation ist ein geradezu schreiender Kontrast zu der Tatsache, „wieviel Kenntnis der Orchesterpsychologie erst zu dem Beruf befähigt“, so Foremny. Günter Neuhold bringt es auf einen vielleicht überzogenen, aber vielleicht auch sehr wahren Punkt: „Dirigieren ist eine Gratwanderung zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn“. Und: „Die Angst vorm Orchester hört nie auf“.

In dem Workshop werden Beethovens Leonoren-Ouvertüre Nr. 3, die zweite Sinfonie und zwei Arien aus Fidelio probiert, alles Stücke, die das Staatsorchester „drauf“hat. Wie ein guter Geist steht Neuhold hinter seinen Schützlingen, nachdem zwei Tage lang am Klavier probiert und Bewegungsabläufe festgelegt wurden. Er flüstert zu, greift in Handbewegungen ein. „Blickrichtung vergrößern“, muß Michael Schmidtsdorff hören. „In den Klang hinein eine große Geste“, rät er Maria Makraki, die sich erst nach einem Physikstudium fürs Dirigieren entschied. Das Staatsorchester folgt nur allzu gerne, hat es doch bereits Leute vor sich, die Schlagtechnik beherrschen, eine genaue Partiturkenntnis und eine Vorstellung davon haben, wie das zu klingen hat. Alle sind vollkommen verschieden, arbeiten unterschiedlich mit linker und rechter Hand, haben noch sichtbar wenig Erfahrung über den Einsatz des Körpers. Aber der muß mitmachen und „reagieren, man muß sehr lebendig sein“, weiß Michael Schmidtsdorff.

Ute Schalz-Laurenze

Das Konzert findet heute abend, 7. Juli, im Sendesaal von Radio Bremen statt und beginnt um 20 Uhr