: Standesbeamte zu Tiefbauern
Haushalt 1998: Bezirke müssen erstmals auch bei „direkten Leistungen“für die Bürger massiv sparen. Personalabbau reicht nicht ■ Von Heike Haarhoff
Schulärzte sind Luxus, Mütterberatungen verzichtbar, Amtsstuben werden nur alle zwei Tage geschrubbt, Parks dem Wildwuchs überlassen, Stadtfeste nicht gefördert und Jugendheime geschlossen: Erstmals in der Geschichte des städtischen Sparens werden 1998 auch „direkte Leistungsangebote für die Bürger schmerzhaft“gekürzt, bedauert Bezirkssenator Thomas Mirow (SPD).
Ausbaden müssen das die Bezirke, die die „bürgernahen Leistungen“erbringen: Sie erhalten ab 1998 eigene Budgets. Da aber die Gesamtausgaben (701 Millionen Mark) um vier Prozent gegenüber 1997 sinken, bleibt kaum Gestaltungsspielraum. „Die Zeit des inneren Sparens ist vorbei“, seufzt Wandsbeks Verwaltungsdezernent Gerd Hünerberg. Allein über Rationalisierung und Personalabbau ließen sich „die Quoten nicht erreichen“, klagen alle sieben Bezirke. Selbst in der Jugendarbeit drohen Kürzungen. „Es gibt keine Schonbereiche“, so der Eimsbüttler Chef Jürgen Mantell (SPD).
Betroffen sind auch die schulzahnärztlichen Dienste: Altona will sie abschaffen, Eimsbüttel eine Kooperation mit Mitte, um „die Grundversorgung zu sichern“. In Wandsbek werden Schulheizungen nur noch ab und zu gewartet, viele Hausmeisterstellen nicht neu besetzt. „Das führt zu Vandalismus“, warnt Altonas Chef Uwe Hornauer (SPD). Auch die Gesundheitsbetreuung leidet. Kleinkindvorsorge und psychologische Beratung werden teils, wie in Lurup, ersatzlos gestrichen. In Wandsbek muß das orthopädische Haltungsturnen dran glauben. Das trifft vor allem Einkommensschwache.
„Ganz schlimm“, nämlich um 50 Prozent, gekürzt wurden die „bezirklichen Sondermittel“, die Vereinsfahrten oder Stadtteilfeste unterstützen, beklagt der Bezirk Bergedorf. Öffnungszeiten von Ämtern würden – noch – nicht eingeschränkt. „Der Bürger“werde „es dennoch merken: längere Wartezeit bei der Bearbeitung von Pässen, Sozialhilfe- und Bauanträgen“.
Denn auch beim Personal wird 1998 gespart. In Zahlen sind das 20 Millionen Mark, in Menschen mehrere 100 Mitarbeiter. Allein in Altona müssen 46 Stellen weg. Über die Fluktuation aber werden nur 16 frei. Weil niemand entlassen werden darf, müssen die übrigen 30 Stellen intern umgeschichtet werden, was im Amtsdeutsch „Fremdbuchung“heißt. Und zu „absurden Situationen“führt, grämt sich Hornauer: So gingen 1997 „zufällig“beide Tiefbauingenieure Altonas in Rente. Fachgerecht neubesetzt werden sie – trotz Bedarfs – aber nicht. Denn per Stellenplan sind sie ja bereits vergeben – und zwar an verzichtbare, aber unkündbare Standesbeamte. „Ohne die Tiefbauer wird keine Baustelle fertig.“Eventuell, so Hornauer, muß der Bezirk diese Leistung jetzt „von draußen einkaufen. Eigenes Personal kann ich nicht bezahlen.“
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