Alles wird gut, und nichts wird besser

■ betr.: „Der Schraubstock“ von Ute Scheub, taz vom 30.6. 97; „Ab schied von gestern“ von Mariam Niroumand, taz vom 1.7. 97

Ich finde es sehr erfreulich, daß Ute Scheub daran erinnerte, was in Heinrich Breloers Dokudrama „Todesspiel“ alles nicht gezeigt wurde; denn daran muß erinnert werden, damit nicht die fernsehkompatible Geschichtserzählung plötzlich für die Wahrheit gehalten wird. Um so erschreckender finde ich den Beitrag von Mariam Niroumand, die behauptet, dieses Fernsehspiel gebraucht zu haben, um verstehen zu können, in was für einer Lage Helmut Schmidt damals war, und um zu begreifen, daß die Schleyer- und die Flugzeugentführung zusammengehören! Dabei haben die Entführer damals doch sofort selbst darauf hingewiesen.

Aber: Sie wollte es nicht früher begreifen, was das bedeutet, sagt sie. Allerdings kommt nun, wo sie es endlich begriffen hat, sofort der große Kotau vor der Gemütlichkeit bei uns in der Bundesrepublik: Der besteht aus der Abkehr vom Versuch, politisch zu denken, zugunsten der Hingabe an die Human-interest-Story; der Abkehr von der geschilderten Kindheit und Jugend zugunsten der Hingabe an die bundesbürgerlichen Werte (Vernünftlertum mit Erwachsensein verwechselt).

[...] Kann man ja machen – man kann sich ja so entwickeln, daß man dann so denkt –, aber muß man deswegen öffentlich Verrat an sich selbst üben? Ist es nötig, die superradikalen Zeitschriften, die man mit 15 las, nunmehr als „Postillen“ zu denunzieren? (Dabei war man damals doch sehr froh, daß es sie gab.) Muß uns bedeutet werden, daß die staatliche Aufrüstung damals eine Fortsetzung der „Kinderfolklore“, das heißt, gar nicht real, sondern nur eine Ausgeburt von Teenie-Hirnen war? Reicht es nicht, Helmut Schmidt die Hand zu reichen, muß man ihn auch noch derart beknackt überhöhen und ihn „Antigone“ nennen? Wo er doch gar nicht schwul ist!

Die entscheidende Stelle im Fernsehspiel hat Mariam Niroumand offenbar gar nicht mitbekommen, Ute Scheub, die politisch denkt, dafür sehr wohl: Friedrich Zimmermann sagte, es sei Krieg gewesen, was damals passierte, und sie hätten die Kriegserklärung angenommen. Und Helmut Schmidt betonte, daß diese Terroristen damit wohl nicht gerechnet hätten, daß sie es mit Frontsoldaten zu tun hatten und nicht mit Willy Brandt oder Herbert Wehner (die „draußen“ waren und so zu Luschen werden mußten). Aber hallo! Da spricht nun doch die Deutsche Wehrmacht und nicht Sophokles.

Daß die das damals als Krieg betrachteten, führte zum Beispiel dazu, daß in dem Dreieinhalbtausend-Einwohner-Kaff im unterfränkischen Zonenrandgebiet, wo ich aufwuchs, irgendwann am hellichten Tag Uniformierte (Polizei? BGS?) mit Maschinenpistolen auf dem Marktplatz standen und die Kreuzung zweier Staatsstraßen überwachten. Es kann sein, daß das auch schon früher in diesem Jahr war; 1977 wurde ja ständig irgendwer erschossen, von dem ich noch nie etwas gehört und von dessen Funktion ich keine Vorstellung hatte. Ich hielt das für ebenso normal wie die Grenze zur DDR oder die Berliner Mauer, und ich wußte, daß die RAF mich auf keinen Fall im Visier hatte. Von Uniformierten mit Maschinenpistolen fühlte ich mich also keineswegs beschützt, sondern bedroht. Solcherlei prägte nun meine Vorstellung von der „Sache des Staates“, und der Zufall, daß der 18.10. 77 mein 15. Geburtstag war, verbindet mich nun quasi persönlich mit dem Deutschen Herbst. Wahrscheinlich hätte ich aber auch mit einem anderen Geburtsdatum in den vergangenen 20 Jahren gelegentlich darüber nachgedacht. Meine Eltern waren nämlich weder mit Rudi Dutschke befreundet, noch lagen bei uns „Postillen“ herum. Es wurde auch kein „antiautoritärer Diskussionsstil“ geplfegt, und außerdem lebten wir im schwärzesten Loch Bayerns. So wurde mir die Begeisterung für die Revolution nicht mit der Muttermilch eingeflößt, sondern ich mußte allein über „die Sache des Staates“ und mein Verhältnis zur ihr nachdenken. Vielleicht war das besser so, denn so muß ich sie jetzt nicht blind verteidigen.

Mariam Niroumand nämlich kontert den Vorwurf an Heinrich Breloer, er habe sich „die Sache des Staates zu eigen“ gemacht, damit, diese Sache sei nicht die schlechteste, wo es um die Rettung von 86 bis 87 Menschen geht. Das ist aber nun überhaupt kein Argument, sondern Quatsch, denn nicht Breloer hat die Passagiere der „Landshut“ befreit, sondern das haben vor knapp 20 Jahren die Mitglieder der GSG 9 auf Anordnung von Helmut Schmidt getan. Wenn Heinrich Breloer sich eine andere Sache zu eigen gemacht hätte, dann hätte er damit keineswegs Menschenleben aufs Spiel gesetzt, sondern nur den sehr guten Sendeplatz für sein Dokumentarspiel (das ich im übrigen wegen der Interviews mit den damals Beteiligten sehr interessant fand). Ceterum censeo: Die taz muß besser werden! Iris Hanika, Berlin

Alles wird gut, und nichts wird besser, und die taz wird immer schlimmer. Uns taz-Lesern diesen Kommentar unter die Vorhaut zu schieben, ist eine Zumutung, die nur schwer erträglich erscheint. [Schon seltsam, mit welchen Organen Männer lesen! Du gestattest, daß ich diesen Brief mit meinen Fingern setze und nicht mit meinen Schamlippen? d.sin]

[...] Weder der Sieg des Kapitalismus noch 15 Jahre Kohl-Regierung, noch die körperliche Nähe zu Protagonisten der ersten Stunde rechtfertigen diesen jugendlichen Schwachsinn der Betrachtung geschichtlicher Ereignisse und Abläufe unter völliger Außerachtlassung der Hintergründe und Ursachen. Die Argumentation wirkt wie ein Abstreifen unreflektierter Kindheitserinnerungen im Eintausch mit einer sozialdemokratisierten Sicht der Dinge.

Die RAF als ganz privates Auschwitz der 68er, das könnte die Neue Rechte nicht besser formulieren. Che Guevara wurde in seinem Kampf vom Stern der Freiheit und Gerechtigkeit geleitet und mußte sterben ohne Erfüllung dieses Traumes; er selbst aber wurde unsterblich. Hinter ihm stehen Hunderttausende von Menschen, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abschaffen wollten: Wenn Frau Niroumand dazu nur einfällt, daß er seine beiden Kinder verlassen hat, dann soll sie sich ein bürgerliches kleines Glück zurechtzimmern und darin versauern oder ersticken. Es gab zu jeder Zeit Menschen, die wollten etwas mehr! Freiheit! Bernhard Wadle-Rohe,

Ludwigshafen/Rhein