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So modern wie Hollywood-Piraten

Niemandem stand der Sinn nach einer richtigen Revolution: Gestern sind in Paris die Prêt-à-porter-Schauen für die Männermode im Sommer 1998 zu Ende gegangen. Alles ist möglich, das größte Problem sind wie immer die Kunden  ■ Von Anja Seeliger

Das altmodischste Kleidungsstück bei den Männerschauen war der französische Anzug. Das modernste Kleidungsstück bei den Männerschauen war der englische Anzug. Und das verblüffendste Kleidungsstück war der italienische Anzug.

Einige Tage vor den Schauen für die Männermode in Paris haben Cerruti, Gianfranco Ferré und vor allem Dolce & Gabbana in Mailand ihre Models in Hosen gesteckt, die weit um die Beine schlotterten, beim Gehen die schönsten Falten warfen und so lang waren, daß sie auf der Erde schleiften. Dafür hatten die Jacketts schmale Schultern. Ein größerer Bruch mit der Tradition läßt sich kaum denken: Die Italiener haben die klassische männliche Dreieckssilhouette – breite Schultern, schmale Hüften – kurzerhand umgedreht. Bei Dolce & Gabbana waren die Hosen oft mit großen langen T-Shirts kombiniert, die schräg in die weiten, tiefsitzenden Hosen gestopft waren, so daß sich wie bei einem griechischen Gewand unzählige schräg verlaufende Falten bildeten. Die Wirkung war sensationell: In ihren riesigen Hosen sahen die Models aus wie Arbeiter, die sich das T-Shirt ausgezogen haben und darunter den Körper einer griechischen Statue offenbaren. Oder wie Skulpturen, deren Torso ab den Hüften noch in einem unförmigen Marmorblock steckt.

In Paris jedoch stand niemand der Sinn nach einer Revolution. Der klassische französische Anzug, wie ihn etwa Pierre Cardin vorführte, hat breite Schultern, mit einer gerade fallenden Jacke, tiefem Revers und einer gerade fallenden Hose. In diesem Anzug hat ein Mann keinen Körper, sondern eine Funktion. Dieser Anzug hat viel Ähnlichkeit mit einer Küchenschürze, die ich in einem Fenster für Berufsbekleidung gesehen habe. Darauf stand in roten Buchstaben gestickt: Appelez-moi chef.

Aber die meisten Modedesigner, wie etwa Montana oder Hermès, folgten in Paris der englischen Tradition. Anzüge mit schmalen Hosen, ohne Bundfalten, wie sie Paul Smith vor einigen Jahren wieder eingeführt hat. Die Jacketts haben eine betont geschlossene Vorderfront. Das liegt an den kurzen Revers. Selbst bei den Zweiknöpfern saß der oberste Knopf etwa auf Höhe des Brustbeins. Gleichzeitig wird das Panzerartige dieser Anzüge abgemildert durch Abnäher an der Vorderfront, die etwa von der Brust bis zur Tasche reichen und so die Jacke diskret taillieren. Statt den Oberkörper in eine abstrakte Form zu verwandeln, folgen die englischen Anzüge unauffällig den Körperlinien. Den Körper zeigen ist eine jugendliche Angelegenheit. Es verweist auf eine Zeit, als erotische Verwicklungen mindestens so wichtig waren wie geschäftliche. Verführt von diesem Gedanken, schickte selbst eine so konservative Marke wie Hermès einen gut Teil ihrer Anzüge mit T-Shirt und Turnschuhen über den Laufsteg.

Sehr entspannt, das alles. Bis zur Schau von Ozwald Boateng. Grasgrün! Gold! Pink! Lila! Orange! Der Mann hat wirklich – Farben! Aber da ist noch viel mehr. Die Hosen sitzen so eng wie bei Sean Connerys James Bond. Bei jedem Schritt spannen sie sich um die Oberschenkel, daß die Bügelfalte glatt liegt. Am Beinansatz bilden sie kleine Falten, ohne sich jedoch häßlich unter die obere Vorderpartie zu schieben. Die Jacketts sind sehr britisch. Die leicht markierte Taille wird noch durch schräg eingearbeitete Pattentaschen betont. Das Revers ist kurz. Die Vorderfront wirkt noch flächiger als sonst, weil die Knopfleiste verdeckt ist. Aber diese Jacketts sind absolut keine Panzer. Sie bewegen sich bei jedem noch so gemessenen Schritt, als würde der Körper darunter tanzen. Das liegt vor allem daran, daß die Jacketts hinten alle zwei Schlitze haben. Fast die Hälfte des Saums kann sich also frei bewegen – bei jeder Bewegung des Hinterns. Vorne sind die Jacken meist nur mit dem obersten Knopf geschlossen, so daß auch die Vorderpartien schwingen. Konservativ? Bei dem Schnitt? Unmöglich. Die Blousons erinnern an die 50er Jahre. Sie sind gerade und minimalistisch.

London ist Boomtown. Boatengs Anzüge bezeugen den enthusiastischen Willen, mitzumischen. Es ist eine atemberaubende Mischung aus Tradition und Sex, wie zusätzliches Kraftfutter, angereichert mit den grellen Farben des Aufsteigers. Die breiten Schultern der Anzüge in den 80er Jahren betonten vor allem die Skrupellosigkeit des Karrieristen. Boatengs Anzüge künden von seiner Verwegenheit. Obwohl sie so modern sind, daß es fast weh tut, kamen mir seine Modells vor wie Hollywood- Piraten zur Zeit Elisabeth I. Kopf und Kragen riskierend für Ruhm, Geld und Abenteuer.

Boateng, 30, ist der beste Beweis für diese Verwegenheit. Er ist kein Modedesigner, sondern ein Schneider. Der Sohn ghanaischer Eltern hat sein Handwerk bei einem Maßschneider in der Savile Row gelernt. Mit 20 stellte er seine erste Kollektion zusammen. Ein Unding! Darf man doch in der traditionsreichen Savile Row oft erst nach sieben Jahren den ersten Anzug zuschneiden. Inzwischen hat er dort einen eigenen Laden. Die Kollektion, die er in Paris vorführte, ist Fertigware von der Stange. Aber in London kann man sich seinen Anzug bei ihm maßschneidern lassen. Das kostet zwischen 1.500 und 2.000 Pfund. Bis der Anzug fertig ist, dauert es sechs bis acht Wochen.

In London und Italien boomt das Geschäft der Maßschneider. In der International Herald Tribune erklärte der italienische Maßschneider Brioni, bekannt geworden durch den Anzug, den er für Pierce Brosnans erste James- Bond-Rolle geschneidert hat, daß sein Umsatz in diesem Jahr bereits um 35 Prozent gestiegen sei. In London profitieren vor allem junge Schneider wie Boateng, Richard James, Marc Griffith und Timothy Everest von der enorm gestiegenen Nachfrage. Neben Maßschneiderei und Anzügen von der Stange bieten diese Schneider auch einen Made-to-measure-Service. Das bedeutet, daß man den Kunden zwar vermißt, der Anzug dann aber von einer Fabrik maschinell hergestellt wird.

„Mein größtes Problem sind Kunden, die sagen: ,Sie sind so dünn, deshalb können Sie diese Anzüge tragen‘“, erzählt Boateng, „sie verstehen nicht, daß maßgeschneiderte Anzüge jeden Mann besser aussehen lassen.“ Je globalisierter die Wirtschaft, desto individueller ihr Profiteur.

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