Die Unschuld der Pinnwände

■ Schnelles Vergreisen in symbolischen Kraftakten: Dead Presidents von den Brüdern Albert und Allen Hughes

Die Augenhöhlen sind schwarz, der Rest des Gesichts ist kreidebleich. Die Masken, die sich Anthony und seine Gang beim Überfall auf einen Geldtransporter geschminkt haben, sehen aus wie Totenköpfe. Und natürlich liegt darin eine symbolische Schwere, denn für den Rest der Gesellschaft sind sie sowas wie Gespenster: eigentlich schon vor langer Zeit gestorben und doch allgegenwärtig. Ein Alptraum.

Anthony ist Vietnamheimkehrer. Er ist Mitte 20, aber schon ein alter Mann. Und er ist schwarz. Der New Yorker wird wie eine Pinnwand mit Orden bestückt, und nach dem Krieg übt er für kurze Zeit eine Tätigkeit aus, die er wie keine zweite beherrscht: Er wird Schlachter. Doch dann verliert er auch diesen Job, die kriminelle Laufbahn ist unvermeidlich.

Das Regieduo Albert und Allen Hughes erzählt hier noch einmal die sattsam bekannte Geschichte des Jünglings, den der Krieg zum Greis macht, bevor sein Leben überhaupt begonnen hat. Und natürlich verliert Anthony, gespielt von dem manchmal zu knabenhaften Larenz Tate, in der Nacht vor der Einberufung seine Unschuld. Obwohl kein symbolischer Kraftakt ausgelassen wird, treibt der Plot zuweilen ein bißchen schwächlich voran. Was auch daran liegt, daß die bekannten Erzählbausteine aus Ghettodrama, Kriegsepos und Gangsterkino unmotiviert zusammengesetzt werden.

Unmotiviert, aber kunstvoll. Mit Menace II Society legten die Regiebrüder Hughes im Alter von 19 Jahren einen dringlichen Indie-Reißer vor, für Dead Presidents hatten sie jetzt einen großen Etat zur Verfügung. Auf diesen Umstand stößt der Film sein Publikum mit delikater Ausleuchtung und mit jeder seiner geschmeidigen Kamerafahrten. Die Charaktere werden gleichsam eingekreist, und als Anthony durch seinen Stammclub flaniert, da wird er abfotografiert wie einst Harvey Keitel in Martin Scorseses Mean Streets: als souveräner Herrscher über das Nachtleben. Klar, bei den Hughes-Brüdern ist der Kanon des italo-amerikanischen Kinos stets abrufbereit, weshalb denn auch die psychotischen Schlachtszenen wie in Michael Ciminos Deer Hunter angelegt sind – mit ein bißchen mehr Splatter drin, versteht sich. Und der Überfall auf den Geldtransporter erinnert an die überhöhende Choreographie in den Krimis von Brian de Palma.

Hier liegt das Problem: Man sieht dem aufwendig produzierten Dead Presidents, der nach seiner Auswertung auf Video jetzt als deutsche Kinoerstaufführung läuft, den Willen an, von Amerika zu erzählen – und nicht nur von Afro-Amerika. Aber das sind zwei ganz unterschiedliche Geschichten.

Christian Buß

Alabama