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Eigenrecherche auf rosa Papier

■ Warum manche Zeitungen in Europa gegen den Trend an Auflage gewinnen: Auf dem Welt-Zeitungskongreß in Amsterdam stellte McKinsey die Ergebnisse einer Untersuchung vor

Zeit für ein bißchen Kulturoptimismus, denn noch scheinen die Zeitungen den Kampf gegen die elektronischen Konkurrenten nicht verloren zu haben (siehe nebenstehenden Kasten). Auch im Ausland nicht: Das Sydsvenska Dagbladet z.B. verzeichnet seit neun Jahren eine steigende Auflage und setzt dabei auf unkonventionelle Maßnahmen. Einmal erschien das schwedische Blatt mit einer Titelseite in dänischer Sprache, ein anderes Mal druckte man unter der Überschrift „Die Fernsehnachrichten von gestern abend“ die Manuskripte der schwedischen Tagesschau nach. Die füllten inklusive Wetterbericht gerade mal eine Seite.

Die schwedische Zeitung ist nicht die einzige, die in den vergangenen Jahren gegen den Trend an Auflage und Anzeigen gewann. Auf dem Welt-Zeitungskongreß in Amsterdam stellten die Wirtschaftsprüfer von McKinsey noch andere Gewinner vor; darunter Le Parisien, The Times, die irische Sunday Independent, die dänische Jyllands Posten, die schwedische Wirtschaftszeitung Dagens industri und De Morgen aus Belgien. Die schaffte in nur drei Jahren einen Auflagensprung von 22.000 auf 40.000 Exemplare und legte gleichzeitig das Image der kleinen, linken, moralisierenden Zeitung für verbitterte 68er ab. Das gelang vor allem mit einer modernen Gliederung – Meinungen auf Seite2, außerdem Interviews, Cartoons und einer frechen und symbolischen Werbekampagne.

Auf einem Plakat bekennt der neue Chefredakteur, Yves Desmet, der einer jungen Redaktion vorsteht: „Ja, ich ging 1968 auch auf die Straße. Ich mußte nur vor dem Dunkelwerden zu Hause sein.“ Daneben sieht man ihn als kleinen Jungen mit Cowboyhut und Revolver.

In der Sprache der McKinsey- Prüfer gehören selbstbewußte Eigenanzeigen zu einer „Wachstumsphilosophie“, die langfristige Investitionen und auch personelle Umstrukturierungen notwendig macht: „Unsere meisten Mitarbeiter waren englischsprechende Männer über 40“, erklärt der Chefredakteur einer US-amerikanischen Zeitung, „aber unsere Leser waren zu 65 Prozent Frauen, und zu 40 Prozent sprachen sie spanisch.“ Da lag es nahe, die Zusammensetzung der Redaktion zu ändern, soweit es das Arbeitsrecht in den USA zuließ.

Außerdem gebe es, so der McKinsey-Report, bei überdurchschnittlich erfolgreichen Zeitungen regelmäßige Marktuntersuchungen, damit die Zeitung nicht zum Selbstzweck für Journalisten verkomme. Regelmäßige Leser- Foren könnten das Bewußtsein der Redaktionen schärfen.

Andere Zeitungen veränderten Image, Aussehen, Struktur und ihr Marketing. So spezialisierte sich Jyllands Posten auf internationale Nachrichten (neuer Slogan: „Dänemarks internationale Zeitung“), bündelte die nationalen Nachrichten auf die zwei Regionen Aarhus und Kopenhagen und führte neue Magazine ein. The Times, die ihre höhere Auflage auch mit Preis-Dumping erreichte, brachte 20 bis 30 Prozent mehr nationale und internationale Nachrichten und Hintergrundberichte. Am Samstag erscheinen nun vier neue Supplements, die sich speziell an junge Menschen richten.

Laut McKinsey-Report müßten Preisänderungen mit inhaltlich- optischen Verbesserungen einhergehen. Wichtig sei auch, den spezifischen Wert der Zeitung mit exklusiven Artikeln zu erhöhen. Jyllands Posten hat nun meist zwei Geschichten auf der ersten Seite selbst recherchiert – doppelt so viele wie vorher. Und Dagens industri will die Titelseite möglichst so gestalten, daß deren Lektüre für jeden schwedischen Geschäftsmann ein Muß ist.

Dagens industri genügt noch einer weiteren Empfehlung von McKinsey, wonach die Zeitungen die Zugänglichkeit erhöhen sollten. Das schwedische Wirtschaftsblatt erscheint in einem modernen Layout, in diesem Fall auf rosa Papier im Tabloid-Format – und, Helmut Markwort wird's gern hören, mit vielen, vielen Graphiken. Falk Madeja

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