: Im tiefen Schlund
■ Wer Bäume fällt, wird Schlangen ernten: In Luis Llosas Regenwaldschocker "Anaconda" jagen alte Männer große Tiere, und Ice Cube rettet eine Frau
Schlangen sind seltsame Wesen. Einerseits sprechen sie „elementare Ängste“ an, wie Susan Ruskin meint, die „Anaconda“ produziert hat und ansonsten am liebsten „Alien“ mag. Dann wieder bestehen sie ja bloß „irgendwie aus Muskeln“, das konnte zumindest Eric Stoltz bei den Filmproben an lebenden Objekten feststellen. Und Ice Cube fand die ganzen Dreharbeiten zu Luis Llosas Tierschocker ohnehin nur ungemütlich: „Offen gesagt, hasse ich Schlangen.“
Der Film nun reagiert auf diese Art von Ekel mit befreiendem Trash. Dort sind die Tiere 20 Meter lang, schnellen steif wie ein Pimmel aus dem Wasser empor und reißen dabei das Maul auf, in dem sich allerlei Drüsen, Muskeln und rosa Fleisch befinden – wer dann immer noch nicht den rohen Urgrund aller Sexualität im tiefen Schlund lauern sieht, hat wohl ein anderes Geschlecht.
Luis Llosas tropischer Horrorfilm „Anaconda“ jedenfalls handelt von sehr komplizierten Stauungen, die Männer zu Mördern werden lassen und aus Schlangen baumstammdicke Monstren machen, auf die der alte Brummiwitz zutrifft: Vorsicht, meine ist 18 Meter lang. Angenehm düster und wettermäßig versuppt geht es schnell zur Sache, Balken biegen sich schon im Vorspann, und den tückischen Biestern gleich schlängelt sich die Kamera die meiste Zeit durchs Gras, nimmt auch mal ein paar Büsche mit oder taucht in den Amazonas ab, während dazu ein Didjeridoo bedrohliche Töne bläst, bevor noch HipHop durch den Urwald wummert.
Da ist der abgeschieden im Dschungel des Amazonas lebende Jäger Paul Sarone (Jon Voight), ein graubezopfter Veteran, der niemanden mehr lieben kann und dem der Sinn allein nach Jagd auf Anacondas steht. Wenn er eine erwischt, zieht er ihr die Haut ab und stopft den riesigen Lappen wie ein Totem in seinen Sack, dann zieht er einsam weiter als der letzte Cowboy im Regenwald. Eine tragische, eine aufwühlende, ja herzergreifende Geschichte, die Mensch und Tier, Mann und Schlange, im entlegendsten Winkel der Zivilisation zusammenführt. Beide erwartet am Ende die Vereinigung: „Eine Anaconda verfügt über Hitzesensoren. Ein warmer Körper ist für sie nicht schwer zu finden. Sie packt zu, umschlingt dich, hält dich fester als deine große Liebe, und du bekommst den Vorzug, deine Knochen brechen zu hören, bevor ihr Druck die Adern explodieren läßt. Dann verschlingt sie dich mit Haut und Haar. Die Anaconda ist die perfekte Tötungsmaschine.“ So spricht Serone, und es klingt wie aus einem dunklen Kapitel bei D.H. Lawrence. Schlangen, das zumindest zeigt Luis Llosas heißblütiges Urwaldstück, sind nämlich Phallus und Vagina dentata zugleich. Heiliger Eros! Supervixen! Später wird eine Anaconda den Jäger tatsächlich halbverdaut und schleimüberzogen zurück in die Welt speien.
Vorboten der Apokalypse
Andererseits will der katholische Filmemacher aus Peru, dessen erster Regiearbeit eine Geschichte von Mario Vargas Llosa zugrunde lag, mit diesem ganzen Splatter-, Erotik- und Religionsspuk auch an den Naturfreund im Kino appellieren. Was sind denn all die Monster im Regenwald, wenn nicht Vorboten der Apokalypse? Wer Bäume fällt, wird Schlangen ernten. Der Umwelt zuliebe hat man dabei für „Anaconda“ mit animierten Modellen gearbeitet. So wurden die Schlangen von Walt Conti entworfen, der schon 1993 die Wale für „Free Willy“ konstruiert hatte.
Mit einer ähnlich moralischen Sorgfalt hat Llosa die Story um ein Forscherteam gestrickt, das eine Dokumentation über vergessene Indianerstämme drehen soll. Die Crew besteht aus einem Haufen junger Akademiker vom College, selbst Ice Cube agiert als Kameramann ökologisch korrekt, und lediglich Eric Stoltz wirkt in der Rolle des Chefanthropologen ein wenig ortsfremd. Dafür wird er schon recht bald von einer Riesenhummel gestochen und darf den Rest des Films komatös in der Koje liegen, während sein Team allmählich von der einen oder anderen Anaconda dahingerafft wird.
Zuletzt greift Ice Cube dennoch zur Waffe, um wenigstens seine hübsche Kollegin Terri Flores (Jennifer Lopez) zu retten, die sich im Angesicht einer unglaublich gewaltigen Latex-Anaconda den Knöchel verstaucht. Plötzlich schmort das Biest im Schornstein einer Dschungelfabrik, die vermutlich der vergessene Indianerstamm errichtet hat, und auch Stoltz wacht irgendwann wieder auf, ohne recht zu wissen, in welchem Film er sich gerade befindet. Doch wer wird schon wegen einer zwar konfusen, aber dafür um so eindringlicheren Geschichte zagen? Schließlich verschlingt die Schlange ihre Opfer äußerst reizvoll – mitunter hat Llosa die Freßszenen sogar aus der Darmperspektive gefilmt. Harald Fricke
„Anaconda“. Regie: Luis Llosa; mit Jon Voight, Jennifer Lopez, Ice Cube, Eric Stoltz, Jonathan Hyde u.a. USA 1997
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