: Gummitwistbeine
■ Traurige Gedanken, schiefes Grinsen, virtuose Glieder: Die Revue „Tango Pasión“gastiert in der Musikhalle
Das Orchester Sexteto Mayor kam zwar zu acht auf die Bühne, aber die Hamburger ließen sich nicht irritieren und applaudierten den alten Herren schon beim zeitlupenhaften Platzeinnehmen frenetisch. Ein Flügel, ein Kontrabaß, ein Schlagzeug, ein überflüssiger Syntheziser, zwei wunderbare Geigen und natürlich zwei herzzerreißende Bandoneons führten fortan durch den Abend. Den Tanz auf der Bühne vor ihnen kaum einen Blick würdigend, spielten, führten, liebten José Libertella und Luis Stazo, Gründungsmitglieder des über 25jährigen Orchesters und zwei der angesehensten Bandoneonisten unserer Zeit, ihre atmenden Instrumente zwischen den Händen mit stoischer Mine.
Daß sich „bandoneón“und „corazón“im Spanischen reimen, kann kein Zufall sein, und die Verbindung wird dem Zuschauer binnen kürzester Zeit vermittelt. Dabei verläßt sich Tango Pasión auf der Bühne – im Gegensatz zum ankündigenden Pressetext – nicht auf die gängigen Klischees vom Tango als „immerwährendem Kampf der Geschlechter“oder „endgültigen Liebesakt“. Was die mit Broadway-Geldern in Buenos Aires produzierte Show auszeichnet, ist ein überraschend spielerischer und unpretentiöser Umgang mit Stereotypen. Schmachtende Blicke gibt es genau wie angedeutete Tritte zwischen die Beine. „Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“, lautet die wohl berühmteste Definition des Tanzes durch Discépolo – Tango Pasión zeigt, daß man sich dabei auch mit schiefem Grinsen amüsieren kann.
Die zweistündige Show zeigt nichts als einen Saal, in dem sich sieben Paare durch die Zeit tanzen. Ohne Dialoge werden Beziehungen angedeutet, mehr nicht; keine Charaktere, doch Typen sind zu sehen. In dieser Beschränkung liegt die Stärke der tänzerisch ausgezeichneten Revue: anders als etwa Evita, das für seine bemühte Argentiniengeschichte sogar Che Guevara auf die Bühne holt, um dem Publikum die Massen zu erklären, gibt Tango Pasión an keiner Stelle vor, mehr zu sein als argentinischer Tango.
Der Abend beginnt in den 40er Jahren mit relativ klassischen Tangos und Choreographien. Männer in grandiosen Nadelstreifenanzügen lassen Hüte tanzen, und Frauen zeigen Beine, die nicht nur biegsamer als Gummitwist, sondern – das Publikum wird Zeuge – schneller als forsche Zungen sind. Im zweiten Teil dominieren Kompositionen Astor Piazollas und entsprechend komplexere Figuren, die sich wohltuend vom Anekdoten-Tanzen entfernen. Und die würdevollen Herren vom Orchester Sexteto Mayor sind beim Schlußapplaus zwei Stunden jünger.
Christiane Kühl
bis 31. Juli, tägl. außer Mo, 20 Uhr, Musikhalle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen