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Lehrer verweigern die Noten

■ Protest gegen Sparpolitik: An vier Schulen keine Halbjahreszeugnisse mehr / Andere streichen künftig Elternabende und Klassenreisen Von Kaija Kutter

Oft angekündigt, nun wird es ernst: Die Lehrerkollegien von neun Hamburger Schulen haben Beschlüsse gefaßt, die sie nach den Sommerferien von Arbeit entlasten sollen. So wollen Pädagogen der Gesamtschulen Bergedorf, Allermöhe und Otto-Hahn die Kommentare bei Halbjahrsnoten künftig weglassen oder durch Standardsätze ersetzen. An den Schulen Max-Brauer, Bruno-Tesch, Kirchdorf und Steilshoop sollen diese sogar ganz entfallen.

Anlaß ist die zum 1. August verordnete zusätzliche Unterrichtsstunde für alle Lehrer. „Mit den Beschlüssen haben die Kollegen nur Senatssprecher Cord Schellenberg beim Wort genommen“, erläutert GEW-Sprecher Hannes Holländer. Dieser hatte bei Verkündung der Entscheidung im April gesagt, es handle sich lediglich um eine „andere Verteilung“ der Zeit, indem eine Stunde von der Vorbereitung in den Unterricht gehe.

Offenbar sind dabei der Phantasie keine Grenzen gesetzt, dies umzusetzen. In Bergedorf sollen Klassenreisen nur noch alle zwei Jahre stattfinden, der Elternsprechtag zum Schuljahrsende entfallen. An der Jenfelder Otto-Hahn-Schule will man neben Klassenreisen auch die Putzdienste reduzieren. In Kirchdorf wollen die Pädagogen bewußt zwei Stunden pro Woche unvorbereitet erteilen. Und in Steilshoop soll künftig keine Ausbildung von Referendaren mehr stattfinden.

Doch während sich viele dieser Proteste in einer juristischen Grauzone befinden, verstößt die Notenverweigerung eindeutig gegen die Zeugnis- und Versetzungsordnung (ZVO) und wird per Dienstaufsichtsverfahren geahndet. „Ich habe das Kollegium darauf aufmerksam gemacht“, sagt der Steilshooper Schulleiter Dieter Maibaum. Davon unbeirrt wollten die Lehrer „ein Signal“ setzen.

Doch manche sehen in den Beschlüssen nicht nur Protest, sondern Reform. So appelliert das Kollegium der Altonaer Max-Brauer-Schule, das in den Klassen 5 bis 8 auf Giftblätter verzichten will, in einem Brief an Schulsenatorin Rosemarie Raab, dafür die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. „Wir meinen, daß die Abschaffung der Halbjahreszeugnisse etwas sehr Sinnvolles ist“, sagt Direktorin Barbara Krau. So könne das Schuljahr ganz neu „rhythmisiert“ und für die Kinder der Streß vor Weihnachten abgebaut werden. Anlaß zur Hoffung, daß diese Ideen in der Hamburger Straße auf offene Ohren stoßen, bietet der neue Schulgesetzentwurf, in dem nur der Anspruch auf ein Zeugnis zum Schuljahresende ausdrücklich vermerkt ist.

Auch die Hamburger GEW-Führung sieht dringenden Handlungsbedarf, die Beschlüsse der Kollegien „auf formaler Ebene abzusichern“ (Holländer). Viele Lehrerkollegen seien darüber enttäuscht, daß die Schulsenatorin im Gegenzug zur Stundenerhöhung von sich aus keine Entlastungsvorschläge gemacht habe, sagt GEW-Chef Hans-Peter de Lorent.

Es liegt jedoch an der Lehrergewerkschaft selbst, daß es darüber bislang nicht zu einem Dialog mit der Schulbehörde gekommen ist. So wurden entsprechende „Sondierungsgespräche“ von der jüngsten Landesvertreterversammlung im Mai auf Ende September verschoben. Die innergewerkschaftliche Klärung darüber, ob mit der Stadt – ähnlich wie in Bremen – ein gänzlich neues Arbeitszeitmodell ausgehandelt werden soll, wurde gar erst auf den November vertagt.

„Wir sind gesprächsbereit und warten“, sagt dann auch Raab-Sprecher Ulrich Vieluf. Der Sinn von Halbjahreszeugnissen werde im Rahmen der Schulgesetzdiskussion „geprüft“. Die Beschlüsse der Lehrerkonferenzen seien jedoch nur als „Beitrag zur Diskussion“ zu verstehen. Vieluf: „Die geltende ZVO ist einzuhalten.“

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