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Wer wirbt, provoziert

Kreative, Quereinsteiger und Kaufleute: Für ein erfolgreiches Werbekonzept müssen alle an einen Strang ziehen  ■ Von Sabine Schrader

Wenn die Mutter ihr Kuchenstück nicht nur fallen läßt, sondern auch noch in den Wohnzimmerteppich tritt, wenn die Kinder Kaugummi an den Sessel kleben, die gutbürgerliche Tapete mit Grafitti verzieren und Papa schließlich auch noch neben den Schrank pinkelt – dann ist das Werbung. Und der Lieblings-Kinospot von Stefan Zschaler von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Für die „Aktion sauberer Bahnhof“kreierten die Werbe-Profis die komisch-beklemmende Szene: „Was Sie zu Hause nicht tun würden, sollten Sie auch bei uns nicht tun – Deutsche Bahn AG“.

Werbung darf nicht langweilen, ist das Credo von Zschaler, der seit elf Jahren in der Branche tätig ist. „Die Kunst liegt darin, mit schon bestehenden Dingen zu überraschen, Bilder zu schaffen, die so noch nicht gesehen wurden“, ist sich der Kreativ-Direktor sicher. „Schöne Menschen über eine Wiese laufen zu lassen, das ist noch keine Idee.“

Das Konzept scheint aufzugehen. Die Agentur „Jung von Matt“hat sich einen renommierten Kundenkreis erschlossen. Beworben werden klassische Markenartikel, zu den Aufraggebern gehören finanzkräftige Kunden wie ein Autohersteller oder eine große Boulevardzeitung. Seit sie sich vor sechs Jahren im Karolinen-Viertel ansiedelte, sind aus ehedem acht inzwischen 130 MitarbeiterInnen geworden. „Das Karoviertel wirkt kreativ inspirierend. Wir wollten was anderes, was Neues machen“, erzählt die Personalreferentin Carola Wendt. Bei der Umsetzung von Ideen arbeiten die GrafikerInnen „sehr, sehr frei“.

Zum Troß der „Kreativen“in den Agenturen gehören auch die TexterInnen. Dahinter verbergen sich meist Geistes- und KommunikationswissenschaftlerInnen oder JournalistInnen. Und daß sich Kreativität und Geschäftssinn ausschließen, scheint mehr als ein Vorurteil zu sein. Denn von der Kundenberatung, bei der schließlich auch der Etat für eine Werbekampagne ausgehandelt werden muß, sind die „Kreativen“entbunden. Das übernehmen Werbekaufleute.

„Ein Produkt auf dem Markt positionieren kann man entweder mit viel Geld oder mit Provokation“, meint Christine Heling von der Werbe- und Ideenagentur „Zum goldenen Hirschen“in St. Georg. Die 43 MitarbeiterInnen setzen auf Letzteres. „Unsere Kunden müssen mutig sein“, sagt die Geschäftsführungs-Assistentin. Das Mailing, das die Agentur nach ihrer Gründung vor drei Jahren verschickte, ließ an dem eigenwilligen Stil kaum Zweifel aufkommen: Eine Spritze mit giftgrünem Waldmeistersirup, lediglich beschriftet mit dem roten Firmenlogo. Erst zwei Tage später erhielten die EmpfängerInnen als Aufklärung die Selbstdarstellung des „Goldenen Hirschen“.

Die potentiellen KundInnen reagierten zwiespältig: Während die einen dem Unternehmen ihren Werbeetat spontan überschrieben, beschwerten sich andere empört über die „gemeingefährliche und unseriöse“Eigenwerbung. Selbst Strafanzeigen trudelten ein. „Unsere Aktionen spalten immer“, sagt Heling. Jedoch: „Zu Schaden kommen soll niemand, das ist uns wichtig. Weder ethisch noch körperlich.“Daß da die Meinungen auseinandergehen, zeigte sich beim Lieblingsspot der Agentur: Anfang Juni hat der japanische Autohersteller „Nissan“die Werbekampagne „Die zehn Gebote“mit sofortiger Wirkung gestoppt. „Wir bedauern, daß religiöse Gefühle von Gläubigen verletzt wurden“, ließ die Pressestelle von Nissan Deutschland wissen. „Es gibt Grenzen.“

Die „Freaks“und „Querdenker“aus St. Georg – Durchschnittsalter 26,5 Jahre –, auf die die Agentur Wert legt, betreuen ihre durchaus bodenständige Auftraggeber professionell. Vor der Kampagne steht die gründliche Problemanalyse, denn nicht immer möchte ein Kunde nur den Verkauf steigern. „Manchmal muß das Image aufgebessert werden, oder der Kunde hat den Eindruck, die KäuferInnen verbinden mit seinem Produkt etwas ganz Falsches.“Die Agentur setzt sich intensiv mit dem zu bewerbenden Produkt auseinander, bevorzugt am Wochenende, gerne durch „Kreativtrips“: Wenn man schon den Auftrag erhält, ein Schutzsystem gegen den Autoknack via Satellit zu bewerben, dann werden mit der geliehenen Luxuslimousine auch Schloßhotels angesteuert, wird quasi vor Ort Kontakt mit den BesitzerInnen von Edelkarossen, der Zielgruppe, geknüpft. „Wer 365 Tage im Büro sitzt, verblödet“, sagt Heling.

Sowohl „Jung von Matt“als auch „Zum goldenen Hirschen“setzen setzen auf die Macht der Bilder. „Die Leute gucken sich Werbung selektiver an, Text wird kaum noch gelesen“, bringt es Stefan Zschaler auf den Punkt. Das mag für Konsumgüter zutreffen, für die AWS Werbeagentur wäre es verhängnisvoll. Sie ist mit knapp 25 Jahren eine der ältesten Agenturen Hamburgs und hat sich seit ihrer Gründung der Gestaltung von Stellenanzeigen verschrieben.

„Zeitungen wie die FAZ haben am Wochenende einen riesigen Stellenteil“, sagt Nils Abraham, einer der Geschäftsführer der Uhlenhorster Firma. Da muß die Anzeige „sofort positiv auffallen“. Durch die Gestaltung mit Firmen-Logos, durch die Verwendung von Wörten wie „wir“oder „unser Unternehmen“sollen von vornherein Verantwortungsgefühl und Engagement geweckt werden. Die Kunden – Behörden, mittelständische Betriebe, Großunternehmen oder Wohlfahrtsverbände – die AWS betreut, wollen nicht die Menge der eingehenden Bewerbungen steigern, sondern sind auf der Suche nach genau der richtigen MitarbeiterIn.

Mit zum Service der 21 MitarbeiterInnen gehört es deshalb auch, das richtige Medium – Tageszeitung oder Fachzeitschrift – auszusuchen. „Im Unterschied zur Werbung“, sagt Abraham, „geht bei uns alles sehr, sehr wahrhaftig zu“.

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