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Die internationale Kaffee-Connection

In Südmexiko betreiben Alemanes, Deutschstämmige, riesige Kaffeeplantagen. Ein neues Buch beschreibt deren Besetzung durch Campesions und Tagelöhner im Sommer 1994  ■ Von Anne Huffschmid

„Preussen“ liegt an der Sierra Madre, der legendären Bergkette, die sich entlang der mexikanischen Pazifikküste schlängelt. Die Finca „Prusia“, die als eine der reichsten Kaffeeplantagen in den fruchtbaren Feuchtgebieten Südmexikos gilt und dort seit über 70 Jahren unter quasifeudalen Bedingungen von einer deutschstämmigen Familie betrieben wird, wurde im Sommer 1994 zu einem Nebenschauplatz des Chiapas-Konflikts. In den Kaffeegebieten sind die aufständischen Zapatistas militärisch nie in Erscheinung getreten, der Funke war dennoch übergesprungen: Campesinos und Tagelöhner, die für zwei bis drei Mark am Tag auf den Plantagen geschuftet hatten, begannen mit der Besetzung der zumeist von Deutschen betriebenen Kaffee-Fincas – darunter eben auch die „Prusia“ und ihre Nachbarin, die Riesenplantage „Liquidambar“.

In ihrem Buch „Die Rebellion der Habenichtse“ zeichnen die Berliner Journalisten Boris Kanzleiter und Dirk Pesara den Konflikt zwischen Besetzern und Besitzern nach. Ihre Reportage ist zum einen die Chronik einer chiapanekischen Campesino-Revolte, die sich hier nicht Emiliano Zapata, sondern Pancho Villa – neben Zapata der andere Volksheld der mexikanischen Revolution – als Helden gewählt haben. Zum anderen wird die Frage, was denn das ferne Chiapas mit „uns“, den Deutschen, zu tun habe, noch einmal anders gestellt. Zu den interessantesten Teilen des Buches gehören die Kapitel über die deutschen Kaffeepflanzer, die sich seit Ende des letzten Jahrhunderts – angelockt vom ehemaligen Diktator Porfirio Diaz, der das Land für Auslandsinvestitionen öffnen wollte – einen ertragreichen „Platz an der Sonne“ am mexikanischen Pazifik geschaffen hatten.

Klingende Namen wie Germania, Nueva Alemania (Neues Deutschland), Hamburgo und Prusia zeugen vom Wirken der Alemanes, die sich selbst freilich nie als Ausbeuter, sondern stets als Pioniere begreifen. Schon 1912 schrieb ein Felix Webster Ludewig in der in Berlin herausgegebenen Kolonistenzeitschrift Tropenpflanzer: „Der Soconusco (Kaffeeregion am Südzipfel von Chiapas, die Red.) zeigt uns ein schönes Bild deutscher Kolonisationsarbeit auf mexikanischem Boden. Zu seiner Erschließung haben (...) arbeitsame, europäische, deutsche Pflanzer (...) beigetragen.“

Heute sagt die Seniorchefin der Prusia den Journalisten: „Alle Mexikaner, die ein bißchen Köpfchen haben, werden Ihnen sagen, daß der Soconusco nur dank der Deutschen reich ist.“

Schade nur, daß die deutschtümelnden Kolonisten mit ihrem verschrobenen Pioniergeist, ihren Bismarckbüsten und ihrem unverhohlenen Rassismus bei Kanzleiter und Pesara so selten im Originalton zu vernehmen sind. Die Autoren, die zweieinhalb Jahre an ihrer Chronik der „Rebellion der Habenichtse“ recherchiert haben, berichten ausdrücklich aus der Perspektive der „villistischen“ BesetzerInnen. So rekonstruieren sie beispielsweise den Einmarsch der „villistas“ auf Liquidambar: Die vielen Wasserhähne und das Schwimmbecken, der Fitneßraum, die Sauna und der Billardtisch, für uns eher Insignien mittelständischen Wohlstands, müssen auf die staunenden LandarbeiterInnen wie unvorstellbarer Reichtum gewirkt haben.

Dem kurzen Spätsommer der Selbstbestimmung, in dem die erste Kaffee-Ernte in Eigenregie gepflückt werden konnte, folgte die Repression – bis heute. Nach der Räumung der Fincas reißt die Gewalt nicht mehr ab. Detailliert werden im Buch Morde und Folter durch die berüchtigten Weißen Garden, die paramilitärischen Schutztruppen der Finca-Besitzer, aber auch durch Polizeikräfte dokumentiert.

Gut ausgeleuchtet, wenn zuweilen auch etwas unübersichtlich geschrieben, sind die Geschehnisse vor dem politischen Hintergrund des Landes – der Aufstand der Zapatistas, die jeweiligen Wahlkonjunkturen, die Wellen der Repression. Darin verwoben sind, neben der Geschichte der Deutschen am Pazifik, historische Ausflüge zu den Ursprüngen der Bauernbewegungen sowie Kurzanalysen der jeweiligen Weltmarktzusammenhänge am Beispiel des internationalen Kaffeemarktes.

Wie notwendig das – im besten Sinne – aufklärerische Büchlein von Pesara und Kanzleiter über die internationale Kaffee-Connection ist, zeigt ein kurzer Blick in die Regale von Gourmetgeschäften: So stehen in einem beliebten Kreuzberger Kaffeehaus neben braunen Bohnen aus Kenia und Costa Rica auch heute noch „typisch mexikanischer“ Kaffee aus „Germania“ und „Liquidambar“.

Boris Kanzleiter/Dirk Pesara: „Die Rebellion der Habenichtse. Der Kampf für Land und Freiheit gegen deutsche Kaffeebarone in Chiapas“. Edition ID-Archiv, Berlin 1997, 138 Seiten, 16 DM

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