: Machtkampf auf der Tarifschiene
Die Verkehrsverwaltung lehnt den Vorschlag der S-Bahn für niedrigere Sondertarife ab. Eine weitere Runde im Tauziehen zwischen S-Bahn und BVG um die Finanztöpfe des Nahverkehrs ■ Von Bernhard Pötter
Die S-Bahn Berlin GmbH überlegt, billige Sondertarife gegen die Verkehrsverwaltung juristisch durchzusetzen. Die Ablehnung ihres Vorschlags für Tarifsenkungen durch die Verwaltung werde „in unserer Rechtsabteilung genau angesehen“ und dann möglicherweise „juristisch überprüft“, sagte gestern S-Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz. Eine Lösung für den Streit zwischen S-Bahn und BVG über die Aufteilung der Einnahmen ist demnach erst einmal nicht in Sicht. Dabei muß bis zum Jahresende ein Kompromiß gefunden werden – oder aber der geplante Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) steht noch vor seinem offiziellen Start am 1.1. 1998 vor massiven Problemen.
Die S-Bahn hatte bei der Verwaltung einen Antrag auf Tarifreduzierung gestellt. Ab September sollte eine einfache Fahrt nur noch drei Mark (statt BVG-weit 3,60) kosten, die Umweltkarte für einen Monat nur noch 69 Mark (statt maximal 119). Die Verkehrsverwaltung dagegen lehnte das Angebot ab, weil sie es für unseriös hielt, erklärte Sprecher Klaus-Dieter Gröhler: „Es gab noch nicht einmal eine Berechnung der Wirtschaftlichkeit. Für uns ist dieser Vorgang abgeschlossen.“
Doch das Thema wird aktuell bleiben. Denn die S-Bahn reagierte mit ihrem Vorstoß auf die Tatsache, daß die BVG ihr etwa 130 Millionen Mark vorenthält. Die notleidende BVG nennt diese kleine Erpressung „Verhandlungsmasse“ und dringt auf eine Neuberechnung des Abrechnungsmodus.
Die Situation ist verfahren. Denn die alte Berechnung für die Aufteilung des Geldes ging von gefahrenen Kilometern pro beförderter Person aus: Das bevorzugt die S-Bahn, die schnell große Distanzen überwindet. Und es benachteiligt die BVG, weil diese die teilweise unrentablen Tram- und Busstrecken in den Außenbezirken flächendeckend betreiben muß.
Tatsächlich ist die S-Bahn inzwischen das kleinere, aber wirtschaftlich gesundere Unternehmen. Der ÖPNV-Gigant BVG dagegen kämpft mit hohen Ausgaben, sinkenden Fahrgastzahlen (minus 20 Prozent seit 1992, 2,9 Mio. täglich in 1995) und einem ständig sinkenden Zuschuß durch das Land. Der S-Bahn geht es vergleichsweise gut: Sie befördert immer mehr Passagiere (1996 900.000), eröffnet neue Strecken und gibt für die Entlohnung der Mitarbeiter weniger Geld aus als die BVG. Aus den Bundesmitteln zum Regionalverkehr erhält die S-Bahn jährlich etwa eine halbe Milliarde Mark und schloß das Jahr 1996 mit einem Gewinn von 39 Millionen Mark. Die BVG dagegen benötigt einen Zuschuß von einer knappen Milliarde, an dem das Land immer wieder herumstreicht. „Die BVG bekommt für die dreifache Leistung an Beförderungen nur knapp doppelt so viele Zuschüsse“, meint der grüne Verkehrspolitiker Michael Cramer.
„Die Einführung der neuen Zonentarife im März haben wir besonders auf Drängen der S-Bahn gemacht“, sagt Klaus-Dieter Gröhler von der Verkehrsverwaltung. Deshalb sei eine Tarifsenkung durch die S-Bahn jetzt nicht zu verstehen. Für Christian Graebler, Verkehrspolitiker der SPD- Fraktion, stellt sich die Frage, ob die S-Bahn bei der Berechnung ihrer Tarife im März korrekt gerechnet hat: „Wieso haben die sonst soviel Geld, daß sie die Tarife senken wollen?“ Bei den anstehenden Verhandlungen über die Zuschüsse für 1998 werde die SPD- Fraktion darauf dringen, daß der Überschuß der S-Bahn durch weniger Subventionen ausgeglichen wird. „Dann könnten wir mehr Regionalverkehr bestellen.“
Die S-Bahn müsse unternehmerisch denken, meint dagegen Priegnitz: „Durch die neuen Tarife erwarten wir Mehreinnahmen von 20 Millionen.“ Er verstehe nicht, warum der Senat den Antrag abgelehnt hat. Er könne „den Fahrgästen nicht erklären, warum sie keine kostengünstigeren Fahrkarten anbieten darf, wenn sie es wirtschaftlich verantworten kann“. Schließlich wolle man ja nur ein Zusatzangebot zum weiterhin gültigen Ticket machen, erklärte Priegnitz. Solche „Binnentarife“ gebe es etwa in Potsdam.
Im Nacken sitzt BVG und S-Bahn dabei der Vorschlag der SPD-Finanzsenatorin Fugmann- Heesing für eine Fusion von S-Bahn und BVG. Ihre Hoffnung: Durch Synergieeffekte könne das Land von seinem Milliardenzuschuß an die BVG entlastet werden. „Das ist bei uns kein Thema“, heißt es aus der Verkehrsverwaltung. Doch in der BVG und der SPD geht man davon aus, daß der Vorstoß der S-Bahn dazu dient, in der Fusionsdebatte die eigene Wirtschaftlichkeit zu zeigen: „Das Ganze war eine PR-Aktion.“
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