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"Liebe taz..." - Wer darf in Zukunft noch gesund werden? Betr.: Behandenln nur nach Budget, taz vom 27.7.1997

Behandeln nur nach Budget, taz 27.7

Die Äußerungen von Herrn Stratmann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), sind mit dem bei ihm gewohnten Zynismus durchtränkt. Nicht die Krankheit bestimmt den psychotherapeutischen Behandlungsbedarf, sondern das Geld bestimmt, ob behandelt werden darf oder nicht. Menschenverachtend darf das doch wohl genannt werden.

Jahrelang hatte herr Stratmann unisono mit der KBV (der kassenärtzlichen Bundesvereinigung) öffentlich beteuert, daß es keinen Behandlungsnotstand im Bereich der Psychotherapie gebe, denn die Kassenpsychotherapeuten deckten den Behandlungsbedarf ab. Erst als von den psychologischen Psychotherapeuten dem Landessozialgericht Essen die Berge der Kostenerstattungszusagen für die außervertraglichen Behandlungen vorgelegt wurden und die Richter beeindruckt haben, mußte die KBV ihre „Vollversorgungslüge“zurücknehmen. Vor dem bundessozialgericht nun mußte die KBV die Erstuntersuchung innerhalb von vier Wochen zusagen. Herr Stratmann paßt sich an.

Ob es bei Bedarf zu einem Untersuchungsgespräch innerhalb von vier Wochen kommen wird, darf bezweifelt werden; durch die ab dem dritten Quartal 1997 greifenden Fallzahlbegrenzungen kann kein ärztlicher Psychotherapeut ein Interesse haben an einem Erstgespräch zur Feststellung der Behandlungsnotwendigkeit, denn dies wird ihm als „Fall“angerechnet. Durch die Äußerungen des Herrn Stratmann wird folgendes Szenario erkennbar: Die ärztlichen PsychotherapeutInnen müssen begründete Ängste bekommen, denn ihr Honoraranteil (Budget) würde durch jeden Behandlungsfall bei psychologischen PsychotherapeutInnen geschmälert. Wehe also dem Mediziner, der die Notwendigkeit für die Psychotherapie bescheinigt, die er nicht selbst durchführen kann. Also: die PT-Bedürftigen werden ab sofort dezimiert.

Weiterhin bemerkenswert finde ich das projizierte Feindbild des KV-Chefs: Die Therapeuten - welche meint er wohl? könnten jemals darüber bestimmt haben, wieviele Patienten es gebe. Nicht die PatientInnen, die Frauen, Kinder, Männer, sind psychisch oder psychosomatisch krank und brachen deshalb eine Behandlung! Nein, die bösen garstigen TherapeutInnen produzieren die Kranken erst!

Merke: Krankheit wird durch Chronifizierung erst richtig teuer. Aber: Krankheit belastet nicht die Honorartöpfe, wenn sie nicht behandelt wird! Wer darf heute noch gesund werden wollen?

Gerda Mehl, Diplompsychologin

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