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"Liebe taz..." - Werden Verfahren gezielt verschleppt? Betr.: Interview mit dem Bremer Staatsanwalt Jan Frischmuth, taz vom 9.7.1997

Betr.: Interview mit dem Chef der Bremer Staatsanwalt Jan Frischmuth, taz v. 9.7.1997

Der Chef der Bremer Staatsanwaltschaft (StA), der Ltd. Oberstaatsanwalt Frischmuth, hat sich in einem Interview mit der taz Bremen vom 9.7.1997 gegen den Eindruck verwahrt, bei der StA ginge es drunter und drüber. Wir haben andere Erfahrungen: Am 29.10.1997 wurde ein jugendlicher Afrikaner eigenen Angaben zufolge in seiner Unterkunft von einem Polizeibeamten mißhandelt. Wenige Tage nach dem Vorfall erstattete der Rechtsanwalt des Betroffenen, Günter Werner, Strafanzeige gegen einen namentlich bekannten Beamten wegen Körperverletzung im Amt. Kurze Zeit später erstattete der beschuldigte Polizist Strafanzeige gegen den Jugendlichen wegen Widerstands. Zwar wurde Rechtsanwalt Werner ein Aktenzeichen mitgeteilt, unter dem seine Anzeige bei der StA geführt werde Über die dabei getätigten Ermittlungen ist jedoch bis heute nichts bekannt geworden. Offenbar wurde nur das Verfahren gegen den Jugendlichen bearbeitet. Die Vorgänge sind im letzten amnesty-Deutschland-Bericht aufgegriffen worden. Wie aus dem Bericht hervorgeht, wurde der betroffene Afrikaner wegen Widerstands angeklagt. Das Strafverfahren wurde im Mai 1997 vom zuständigen Jugendrichter eingestellt. Anlaß für den aktuellen Streit ist ein Brief Frischmuths an ai vom März 1997, worin er mitteilte, daß er keine Strafanzeige von seiten des Betroffenen gegen den Beamten gefunden habe bzw. genauer, daß es eine solche nicht gebe. Frischmuth führt diesen Lapsus in einem Leserbrief an die taz auf die Systematik der alten EDV in der StA zurück bzw. darauf, wie dort Beschuldigte und Geschädigte eingetragen wurden. Der Jugendliche sei in der EDV demnach nur als Beschuldigter (wegen Widerstands) geführt worden, aber nicht als Anzeigeerstatter, da sich seine Anzeige gegen einen namentlich benannten Polizeibeamten richtet. Sein Name wäre nur dann als Anzeigeerstatter geführt worden, wenn sich die Anzeige gegen Unbekannt gerichtet hätte. Es wurden also zwei Verfahren wegen ein und desselben Vorganges geführt, was Frischmuth bei seinem Schreiben an ai nicht bemerkt haben will. Derartige Doppeleintragungen seien nie „dramatisch“gewesen, weil, so Frischmuth, „die Staatsanwälte schon bei den ersten Ermittlungen bemerkten, daß identische Verfahren vorhanden waren; die Verfahren sind dann unverzüglich zusammengeführt worden.“

Was bei allen mit dem Thema „Polizeiübergriffe“befaßten Personen und Institutionen inzwischen Allgemeingut ist, nämlich daß Gegenanzeigen gestellt werden, wird vom Leiter der StA Bremen offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Denn ansonsten hätte er bei seiner angeblichen EDV-Recherche sofort fündig werden müssen: Ihm lag eine Strafanzeige gegen den jungen Afrikaner vor, erstattet von einem namentlich bekannten Polizeibeamten. Hätte Frischmuth sich vor seiner Antwort an ai die Mühe gemacht, zu prüfen, ob der besagte Polizist in der EDV auch als Beschuldigter geführt wird, wäre er fündig gworden. Und er wäre auch auf den Namen des Jugendlichen bzw. seines Anwalts als Anzeigeerstatter gestoßen. Frischmuth hätte als Leiter der StA einzig und allein die gedankliche Leistung vollbringen müssen, in Erwägung zu ziehen, daß die Anzeige des Beamten wegen „Widerstands“eine Retourkutsche auf eine vorausgegangene Strafanzeige war. Unabhängig davon, ob Herr Frischmuth akut „überlastet“ist, bleibt festzustellen, daß sein Verhalten bestens zu dem einschlägigen Umgang mit Vorwürfen gegen Polizeiangehörige paßt. Er hat mit seiner Position nie hinter dem Berg gehalten: Er wird in der taz vom 26.6 zitiert: „Polizisten sind keine notorischen Lügner. Ist doch klar, daß man ihnen eher glaubt.“Im Weser-Kurier vom 2.7 lasen wir: „Bedingt durch die strenge Auswahl der Polizeibewerber und ihre gründliche Ausbildung können Polizisten mit Streßsituationen gut umgehen und neigen nicht zu Übergriffen. Ich gehe davon aus, daß sie als Zeugen die Wahrheit sagen.“ Antirassismus Büro

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