piwik no script img

Die Gefahr aus der Luft

■ Immer verzweifelter geht Serbiens Regime gegen die "Wühlarbeit" kritischer und ausländischer Sender vor. Und schafft es immer weniger, sie zu kontrollieren

Wien (taz) – Nein, es war kein Radio-Jerewan-Witz, den Radio Doboj, eine Lokalstation im serbisch kontrollierten Teil Bosniens, am vergangenen Samstag ausstrahlte. In einer Sendung unter dem Titel „Medienfreiheit und ausländische Manipulation“ fragte der Moderator: „Wer ist schuld, daß das freie Wort bisher nicht an jeden Serben dringen konnte?“ Antwort: „Die Nato.“ Diese habe bei ihrem Luftschlag gegen bosnisch-serbische Stellungen 1995 nicht nur Munitionsdepots und schweres Geschütz der Armee zerstört, sondern vor allem die zentralen Sendeanlagen Serbiens. Erst jetzt – nach zweijähriger Reparatur – sei es gelungen, den Schaden zu beheben. So könne Serbien wieder den Kampf gegen den „westlichen Propagandakrieg“ aufnehmen.

Das Regime in Belgrad ist überzeugt, daß der Westen „mit einer subtilen Kriegsführung“ den Balkan destabilisiere und auf die „Propagandamethoden des Kalten Krieges zurückgreift“. So pflegt es Serbiens neue Informationsministerin Radmila Milentijević auszudrücken. Sie sagte jetzt allen „feindlichen Informationszentren“ den Kampf an. Namentlich die „Wühlarbeit“ der BBC, der Deutschen Welle und von Radio Freies Europa will sie mit allen Mitteln bekämpfen.

Die Ministerin sagt, ihren „Informationszentren“ sei es bereits gelungen, 480 heimische Medien mit Agenten zu infiltrieren und mit großzügigen materiellen Spenden zu unterwandern. In der vergangenen Woche ließ die Ministerin noch einmal sechs lokale Radio- und zwei Fernsehstationen in Serbien schließen – laut Opposition traf es insgesamt 76 Sender. Die unabhängige Belgrader Naša Borba berichtete gestern, daß Regime habe bei den ersten fünf Stationen den Rückzug eingeleitet – sie senden wieder. Gegen die Tageszeitung hatte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet – die Blattmacher hätten Spenden aus dem Ausland nicht gemeldet.

Dem Regime sind die wild wuchernden oppositionellen Kleinstzeitungen und Stadtradios ein Dorn im Auge, die seit dem Wahlsieg der Zajedno-Opposition bei den Gemeindewahlen vom Winter im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden schießen – und sich von Belgrad aus kaum kontrollieren lassen. Denn nach dem noch immer geltenden Medienrecht aus kommunistischer Zeit hat jede Gemeindeeinheit das Recht auf eigene Wochenschriften, lokale Radio- und TV-Stationen. Schon in Titos Jugoslawien gab es, anders als sonst in Osteuropa, über 600 lokale UKW-Sender und über 1.200 Lokalzeitungen. Damit sollten die ethnischen Minderheiten mindest auf lokaler Ebene die Möglichkeit bekommen, ihre Sprache und Kultur zu pflegen.

Nun machen die freien Radios vom technischen Fortschritt Gebrauch: Wegen des dichten Satellitennetzes über Europas Himmel ist es für sie ein leichtes, über eine einfache Schüssel westliche Programme anzuzapfen und in Stereoqualität über den lokalen Äther zu schieben. Auch die westlichen Sender nutzen Satellitentechnik: So sendet die Deutsche Welle auf Tonunterträgern des TV-Senders RTL in zahlreichen Balkansprachen, die vor Ort weiterverbreitet werden. Selbst TV-Programme von CNN bis BBC-World werden so multipliziert.

Nur die staatliche serbische Radio- und Fernsehunion hat große Probleme. Deren Sendeanlagen aus kommunistischer Zeit liegen ausschließlich in den bosnischen Bergen, im heutigen Feindesland. Das veraltete analoge Sendesystem kann nur von Bergen ins Tal senden und benötigt alle achtzig Kilometer einen neuen Sendemast. Die sind zum einen veraltet oder durch die Kriegswirren zerstört. Aber nicht von der Nato, wie Radio Doboj und Serbiens Informationsministerin suggerieren. Karl Gersuny

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen