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Auf den geheimen Spuren von Vasiljew

■ Intensivtheater: Markus Herlyn zeigt mit seinen jungen Schauspielschülern am Sonntag eine Tschechow-Collage im Bürgerpark

Die Vasiljew-Methode: Dieser Begriff mit dem geheimnisvollen Klang eines besonders ausgefuchsten Schachzugs, fast so magisch wie „die Grünstein-Variante“, machte die taz auf Markus Herlyn und seine private Schauspielschule „Studio 13“aufmerksam. An der Toilettentür des Studios am Breitenweg hängt er, besser, klebt er: Vasiljew. Wie eine Figur des letzten Jahrhunderts sieht er aus, bärtig, grimmig. Doch ist er angetreten Stanislawskijs „Grammatik der Schauspielkunst“weiterzudenken und „den Regiestil für das folgende Jahrhundert“zu entwickeln, erzählt Herlyn.

Über die Biographie des Herrn Vasiljew hält sich Herlyn bedeckt, die theoretischen Erläuterungen der Methode wirken blaß, die Spielproben von Herlyns aktuellem Kurs aber wirken interessant. Rund ein Dutzend Menschen zwischen 18 und 29 Jahren sind angetreten, um in zwei Wochen Tschechow und sich selbst auf die Spur zu kommen.

Die Vasiljew–Methode geht von Stanislawskijs, durch Lee Strasberg forttradierte Idee der Authentizität aus: Eine Rolle könne nicht baukastenartig aus Gesten zusammengebastelt werden, vielmehr müsse sie über die Einfühlung entwickelt werden. Oder: Handwerk allein genügt nicht. Die Identifikation sei zu unterstützen durch Bildvorstellungen, Farbassoziationen oder einfach durch bestimmte Requisiten und Kostüme. „99% aller Theaterarbeit“funktioniere heute noch nach dieser Methode, behauptet Herlyn ein wenig gewagt.

Vasiljew nun denkt von da aus weiter. Sein Theater ist „nicht ein Abbild des Alltags“– wir sind erstaunt. Es erlaubt „einen Mix von Stilen“– wir sind entzückt. Und er erkennt, daß man Brecht anders als Tschechow zu inszenieren hätte – wir sind verblüfft. Bis hierher scheint es, daß dem Stand der Dinge etwas dröge hinterherbeschrieben wird: Nichts ist nicht erlaubt. Ein einziger Stil langt nicht. Warum dann aber überhaupt noch eine Methode, und sei sie auch so offen wie unsere Vasiljew-Methode? Sei's drum.

Dann aber doch Eigenwilliges: statt Regietheater echte Gruppenarbeit. In philosophischen Gesprächen einerseits, improvisiertem Spiel andererseits nähert man sich gemeinsam den Szenen eines Stücks. In grausamen, kalten Zeiten besonders sympathisch: Wo alle nur noch an die Vision des einzelnen glauben, hält da noch/wieder jemand das Kollektivprinzip hoch, die Methode der gegenseitigen Befruchtung statt Konkurrenz. Und weil es nicht „die“richtige Variante gibt und schon gar nicht die fertige Variante, wird eine Szene mehrmals gespielt, und zwar hintereinander oder (fast) gleichzeitig in unterschiedlichen Besetzungen. Neben einer introviertierten Fassung kann eine lustige, neben einer entspannten eine dramatisch aufgeladene stehen. Postmodern eben.

Besonders spannend sind Sprünge auf der Zeitachse. Wie in mittelalterlichen Passionsbildern werden Anfang und Ende einer Geschichte bisweilen parallel erzählt. In die Euphorie einer neuen Liebe mischt sich so zum Beispiel die Melancholie des Scheiterns Monate später.

Tschechow, so behauptet Herlyn einfach mal, wirke in herkömmlichen Inszenierungen schwer und psychologielastig. „Langeweile wird zelebriert.“Studio 13 dagegen versteht ihn als leicht, sieht in den Stoffen nicht nur Psychologisches, sondern auch spannende Reflexionen über Kunst.

Der eigene Zugang zum Theaterspielen allerdings ist sehr psychologisch. „Wir spielen nicht in erster Linie für das Publikum, sondern für uns. Die Texte fangen an, uns auch etwas über uns zu erzählen.“So offen der Ansatz, will man dann doch wieder dahin „wie es von Tschechow gemeint war.“

Aus der Not eines klassischen Jungschauspielerkurses macht die Vasiljew-Methode eine Tugend. Erwünscht ist, daß mehr und weniger erfahrene Schauspieler zusammenprallen, erwünscht ist, daß „jeder seinen eigenen Weg in eine Rolle hinein geht“, auch wenn die Besetzung nicht immer ganz typengerecht scheint.

Ob es Sinn gibt, nach „der“Methode zu suchen, die – auf gut Dialektisch – alles vorher Dagewesene in sich birgt, könnte man natürlich fragen. Was am Studio 13 aber wirklich beeindruckt, ist die Begeisterung der jungen SchauspielschülerInnen. Theatermachen sei noch nie so spannend und fruchtbar gewesen, erzählen sie alle wie im Chor.

Erst im fernen Berlin würde man sich der Vasiljew-Methode bedienen, erzählt der Studioleiter Markus Herlyn. Sie sei hier in Deutschland noch recht unbekannt. Durch die siebenfache Erwähnung des Namens hier an dieser Stelle wird sich das hoffentlich ändern. Vielleicht auch durch die engagierte Arbeit von Studio 13. bk

Am Sonntag, 3. August, zeigt das Studio 13 um 15 Uhr die Arbeitsergebnisse seines zweiwöchigen Intensivkurses im Bürgerpark (Wiegandbrücke) unter dem Motto „Play Cechow“, Zutritt frei

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