: Filmfest, aus dem Internet gefischt
■ Beziehungsanbahnung über den Computer: Zwei Bremer Studenten organisieren „so ganz nebenbei“ein kleines Kurzfilmfest Anfang September
alb fasziniert, halb belustigt erzählt John-Dylan Haynes, wie heutzutage an den Londoner Hochschulen die Partnerschaftsanbahnung vollzogen wird: Nachdem die Hürde des Ansprechens überwunden ist, werden zur Vereinbarung eines ersten Dates nicht mehr Telefonnummern zugesteckt, sondern E-mail-Adressen. Durch die gewonnenen Zeitverzögerungen zwischen Rede und Antwort lassen sich die unvermeidlichen Begleiterscheinungen des ersten Telefonats wie Stottern, Schwachsinn und Spucken vermeiden. Damit nicht genug: In aller Ruhe kann sich der Beziehungsinteressent vor dem PC eine Traumidentität für das Gegenüber zurechtkonstruieren. „Beeindruckend“, dachte Haynes und hat diese Methode kurzerhand für eine besondere Art der Beziehungsanbahnung nach Bremen importiert: Für die Organisation eines kleinen Filmfestivals.
Und das geht so: Zusammen mit seinem Freund Martin Koplin benutzt auch Haynes das Internet zur Kontaktaufnahme und weiterer Vertiefung. Und auch sie arbeiten mit der Methode der Selbstmystifizierung. Ihre Intentionen aber sind im Unterschied zu denen der absolute beginners aus London höchst integer und vernünftig. Zum zweiten Mal will „paper run productions“(klingt besser als Haynes und Koplin) sich und anderen einen Abend durch das Vorzeigen lustiger, seltsamer, spannender Kurzfilme versüßen.
Da trifft es sich gut, daß Haynes Psychologie studiert hat, insbesondere Kognitionswissenschaft und besondersinsbesondere die „Psychologie der Fälschung“. Sein Problem: Wie bringe ich interessante Independent-Filmemacher – möglichst aus der ganzen Welt – dazu, einem Psychologiestudiumsabsolventen Videokopien ihrer Kurzfilme zu schicken. Haynes nennt seine Vorgehensweise „Overstatement“und „gezieltes Verschweigen“. Statt sich selbst in die Rolle des kleinen Bittstellers zu begeben, wandte er sich im Internet an Kurzfilmfreaks mit dem Formeninventar bürgerlicher, distanzierter Höflichkeit, nicht anders als es jedes etablierte Festival macht. „bremer underground filmfestival“nannte er seinen Filmabend, als sei's ein feststehender Begriff, eine Institution wie die Oberhausener Kurzfilmtage. Lügen tut er keinesfalls, erklärt allerdings eben auch nicht allzu genau, wer er ist. In fernen Landen hat ein Mailempfänger kaum eine Chance zu erkennen, ob sich ein großer oder kleiner Veranstalter hinter der Anfrage verbirgt.
Und tatsächlich erhielt Haynes kürzlich Post aus Singapur von Herrn Chock, der als Bürokraft – oder so was ähnliches – bei MTV Asia arbeitet und feierabends MTV-unähnliche Kurzfilme macht.
Auf 50 Stück beläuft sich bislang die filmische Ausbeute von „paper run productions“. Die schönsten und schrägsten darunter werden Anfang September in Bremen gezeigt werden. Einen repräsentativen Überblick über das Treiben in den diversen Kurzfilmszenen können Haynes und Koplin so natürlich nicht bieten. Das wollen sie auch gar nicht. Nicht nur, weil sie zu weise sind, etwas zu wollen, was sie nicht haben können. Sondern weil Haynes und Koplin tatsächlich fun und nichts als fun wollen.
Und dazu ist das Genre bekanntermaßen prädestiniert. Der Kurzfilm ist die Heimat aller Besessenen, Spötter, Spieler, Experimentierer. Sie basteln monatelang an Tonfiguren herum, treiben den bad taste zu kulinarischen Höhenflügen, bauen die Schwächen der Videotechnik aus zu ästhetischem Mehrwert, solange bis Film- und Fernsehwirtschaft diese überquellende Probierlust in massentaugliche Bahnen gelenkt haben und die Junggenies zu guten und schlechten TV-Regisseuren heruntergewirtschaftet sind.
„Nicht nur als Cineast, sondern auch als Kognitionswissenschaftler interessiert mich der Kurzfilm.“Vor allem das Verdrehen und Umgewichten reizt Haynes: Wenn Nebensächliches zur Hauptsache wird oder Grauen lustig.
Er selbst hat seinen ersten Filmversuch der Pistazie gewidmet und bastelt jetzt an einem Film der durch Zooms und Schnittfolge Zeitungsbilder zu Wirklichkeiten aufplustert und dann wieder zu papierenen Bildern zusammenschrumpfen läßt. „Das war ein tolles Gefühl: das erste Mal als Jugendlicher eine Videokamera in der Hand zu haben und ,in Konkurrenz' zu treten mit den großen Fernsehanstalten, sein eigenes Bilderflimmern zu erzeugen.“
Die zufällige, bunte Mischung des für Anfang September an noch unbekanntem Ort anberaumten Film-, Party-, Tanz-Vergnügens verspricht die hellste Freude.
Was das Haynes-Koplin-Projekt eigentlich interessant macht, ist natürlich der neugierig-frivol-schöpferische Gebrauch des Internets. Etablierte Verbreitungswege werden umgangen, Gewichtungen verschoben, und manches wird einfacher. „Du setzt dich eine halbe Stunde hin, bastelst deine Webseite und sitzt plötzlich vor einem Berg von Videos, hast dein eigenes kleines Festival. Ohne großen Aufwand.“
Das World Wide Web, eine Chance für Blender – schüchterne, kreative, gutwillige, böswillige. Möglichkeiten eröffnen sich: Könnte die Web-Ankündigung einer Modemesse vielleicht den heimischen Kleiderschrank auffüllen, das Versprechen eines Nahrungsmitteltests gar den Kühlschrank? Was für eine Verlockung!
Barbara Kern
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